Die Stunde des Wolfs
zu leisten.
»Dann kommen wir als Nächstes nach Malmö?«
»Sollten wir. Da warten wir, bis wir Fracht laden können.«
»Wie lange werden wir dort bleiben?«
»Zwei oder drei Tage, falls sie zügig durcharbeiten, aber das ist in jedem Hafen verschieden – manche sind schnell, andere nicht. Einmal, als wir in Kalkutta Kohle luden, wurden wir von Trägern beladen, Hunderten, Männern und Frauen, die mit Körben voll Kohle auf dem Kopf die Gangway hochstiegen. Das dauerte zwei Wochen.«
»Schweden machen das nicht.«
»Schon eine ganze Zeit nicht mehr.«
Sie war einen Moment lang nachdenklich, und er hatte den Verdacht, dass sie die Tage zählte, die Tage, die ihnen noch blieben. Zwei oder drei in Malmö, vielleicht noch eine Woche auf dem Weg nach Irland.
Endlich sagte sie: »Trotzdem lassen sie sich vielleicht Zeit.«
Ja, vielleicht.
Shtern und Kolb erschienen, drehten zusammen eine Runde an Deck, die Hände auf dem Rücken gefaltet, als wären sie Passagiere auf einem Ozeandampfer.
»Guten Morgen, Herr Kapitän«, sagte Kolb. »Schönes Wetter heute.«
»Ist es. Sollte man genießen.«
12.20 Uhr. Vor der Landzunge Falsterbo.
Kurs NNW, bei einem Schwenk um die Halbinsel, die im Südwesten aus der schwedischen Küste ragte. Der Himmel immer grauer, stellenweise dunkelblau, mit tief treibenden Wolkenfetzen im Westen. Recht bald also Regen, aber noch nicht. De Haan rieb sich die Augen, rauchte und trank Kaffee, um wach zu bleiben. Vom Ausguck auf der Backbordnock: »Schiff nähert sich, Herr Kaptän.«
»Was für eins?«
»Kleiner Kohledampfer, Herr Kaptän, dem Rauch nach. Etwa drei Meilen vor Backbord, mit Kurs auf uns zu.«
»Aus Richtung dänischer Küste?«
De Haan hatte es im Fernglas – schwarzer Rauch aus einem Schornstein hinter dem Ruderhaus, Antennen auf dem Dach, ein einziges Geschütz auf dem Vordeck, die Aufschrift M 56 am Bug, das rotschwarze Hakenkreuz am Mast. »Auf zweihundertfünfundzwanzig gehen«, sagte er zum Steuermann. »Ruder hart Backbord, und vorsichtig.«
»Südkurs auf zweihundertfünfundzwanzig«, sagte der Steuermann und drehte das Rad blitzschnell herum. Sie würden, wenn sie diesen Kurs hielten, hinter dem Schiff passieren.
Langsam reagierte die Noordendam auf ihr Ruder, schwenkte den Bug nach Backbord und hielt, sobald der Steuermann das Rad zurückdrehte, Kurs. Nach dreißig Sekunden dachte ein frohgemuter De Haan, die Taktik hätte funktioniert, doch dann eine scharfe Kurve, und der Bug der M 56 wechselte nach Süden, und De Haan sah durchs Fernglas, wie sie im knappen, direkten Profil über die niedrigen Wellen schlug. Die Stimme des Ausgucks von der Nock war kurz und angespannt. »Wechselt den Kurs, Herr Kaptän. In unsere Richtung.«
De Haan benutzte die Pfeife, um sich mit dem Maschinenraum zu verständigen. Als sich Kovacz meldete, sagte De Haan: »Bitte auf die Brücke, Stas, sofort.«
In weniger als einer Minute kam er die Niedergänge hochgeschnauft, das Arbeitshemd von der Hitze im Maschinenraum an den Achseln und über dem Bauch dunkel verschwitzt. »Eric?«, fragte er. »Was gibt's?« De Haan reichte ihm das Fernglas und wies auf die See. Während er mit dem dicken Daumen die Schärfe einstellte, verfolgte Kovacz das sich nähernde Schiff ein paar Sekunden lang und sagte: »Scheiße.«
»Womit haben wir's zu tun?«
»Minenräumer, M-Klasse. Könnte ursprünglich französisch oder norwegisch sein, direkt nach dem Krieg gebaut, 1919, vielleicht auch 1920. Sie benutzen die Dinger meistens für die Küstenpatrouille, aber falls sie eine Mine entdecken, können sie sich auch darum kümmern.« Er gab De Haan das Fernglas zurück und sagte: »Und sie wollen uns aufbringen.«
»Und zwar jetzt«, antwortete De Haan, als er wieder durchs Fernglas sah. Ein Matrose an der Reling morste ihm mit einer Aldislampe, indem er schnell und geschickt die Jalousie bediente. Was für ein Schiff? De Haan hielt das Fernglas zielgerichtet. »Aber die haben's nicht eilig«, sagte er, nachdem er abgeschätzt hatte, wie schnell sich der Abstand zwischen ihnen verringerte.
»Von wegen nicht eilig – da stecken nur zehn, vielleicht zwölf Knoten drin, und die nutzen sie bis zum Anschlag aus.«
»Auf Dreiviertelkraft bleiben«, wies er Kovacz an. »Und wir sehen mal, was passiert.« Hatten sie seine Kursänderung als Ausweichmanöver verstanden? Vielleicht hatte er einen Fehler gemacht.
Kovacz ging zum Schott, blieb plötzlich stehen und drehte sich noch einmal um. »Ich
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