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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Beiboot, und das Enterkommando, das die Gangway heraufkam, zählte acht Leute – fünf mit Infanteriegewehren, einer mit einem Karabiner bewaffnet sowie einer mit einer Stahl-Maschinenpistole mit Kastenmagazin und abnehmbarem Schulterriemen. Kaum waren sie an Deck, schwärmten sie paarweise und fächerförmig aus: zum Funkraum, dem Mannschaftsquartier, dem Maschinenraum, während der Offizier, gefolgt von seinem Schatten, einem finsteren, ungeschlachten Kerl mit wulstiger Stirn – sein persönlicher Gorilla, vermutete De Haan –, mit seiner Maschinenpistole zur Brücke marschierte.
    Von nahem erwies sich der Offizier als groß und hellhäutig, mit einem bleichen Flaumgekräusel von Kotelette zu Kotelette, das einen Bart darstellen sollte. Mit strahlendem, eifrigem Blick und einem ewigen, nichts sagenden Lächeln war er ein junger Mann, der sich in die Macht verliebt hatte, in Obrigkeit mit Salutieren und Ehrenbezeugungen und Uniformen und Strafen und Befehlen. Als er auf der Brücke De Haan gegenübertrat, stand er stramm und stellte sich als »Leutnant zur See Schumpel. Schumpel«, vor. Den Namen musst du dir merken. Nur Unterleutnant, dieser Schumpel, aber bestimmt nicht mehr lange. Ein einziger Erfolg, ein einziger glücklicher Umstand, und er wäre nicht mehr aufzuhalten. Und heute, dachte De Haan, war der Moment gekommen, auch wenn er es noch nicht wusste. »Sprechen Sie auch Deutsch?«, fragte er De Haan.
    »Ja.«
    »Und Sie sind?«
    »De Haan.«
    »Welcher Rang?«
    Noch nicht. »Erster Offizier.«
    »Demnach wissen Sie, wo sich die Papiere des Schiffs befinden, das Logbuch, die Dienstliste der Matrosen und Offiziere.«
    »Ja.«
    »Dann werden Sie sie in die Offiziersmesse bringen.«
    Nun, das war's dann also. Das Geisterschiff war dabei, sein Laken abzuwerfen, und De Haan blieb nichts anderes übrig, als Befehle auszuführen. Er holte das Logbuch von der Brücke, ging in den Kartenraum – Schumpels Gorilla zwei Schritte hinter ihm – und holte den Rest. Natürlich hätte er es ihm übergeben können, doch das entsprach nicht der gewünschten Form. Er tat besser daran, Schumpel seine Schuld persönlich auszuhändigen, das war es, was er wollte.
    Kaum saßen sie am Messetisch, sagte Schumpel: »Sind Sie der Kapitän dieses Schiffs? Oder ist es Ihr Kollege?«
    De Haan antwortete nicht.
    »Seien Sie doch vernünftig. Dieser kleine Spanier ist kein Kapitän von irgendwas, bestenfalls ist er, wie der englische Dichter zu sagen pflegt, ›der Kapitän seiner Seele‹, aber bestimmt nicht mehr.«
    »Ich bin der Kapitän«, sagte De Haan.
    »Gut! Das ist ja schon mal was. Und jetzt das Logbuch und die Schiffspapiere.«
    Schumpel war, wie sich zeigte, ein lebhafter Leser. Sein Finger glitt, hocherfreut über das, was er unterstrich, bis zum Ende einer Zeile und verharrte am selben Fleck, bis er die mündliche Bestätigung seines Besitzers hatte – »Mm? Mm.« Der, als er von den Papieren aufsah, sagte: »Wie's aussieht, befinde ich mich auf einem holländischen Schiff, das eigentlich NV Noordendam heißt. Ist das korrekt?«
    »Ja.«
    »Darf man dann wohl fragen, wieso Sie wie ein spanisches Frachtschiff angestrichen sind?«
    »Weil ein holländisches Schiff nicht in die Ostsee kann.«
    »Und auf wessen Veranlassung ist das geschehen?«
    »Auf Veranlassung des Eigentümers.«
    »Ach ja? Und was genau hat er damit wohl Ihrer Meinung nach bezweckt?«
    »Tarnung, Leutnant Schumpel.«
    »Das scheint mir offensichtlich, aber welchen Vorteil hatte er im Sinn?«
    »Geld. Mehr Geld, als er mit britischen Konvois verdienen würde, viel mehr.«
    »Für welche Leistung? Irgendeine geheime Mission?«
    »Oh, das ist vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen. Schmuggel trifft es wohl besser.«
    »Schmuggel von was?«
    »Alkohol, was sonst?«
    »Waffen, Agenten.«
    »Wir doch nicht. Wir haben Wein und Schnaps verschifft, ohne Steuervermerk, erst nach Dänemark, dann Riga.«
    »Nach Dänemark. Ihnen ist doch klar, dass Dänemark ein Verbündeter Deutschlands ist und derzeit unter unserer Hoheit steht?«
    »Alkohol ist Alkohol, Herr Leutnant. In schweren Zeiten, in Kriegszeiten zum Beispiel, hilft er den Männern durchzuhalten. Und sie wollen ihn nun mal haben.«
    »Und wo genau an der dänischen Küste haben Sie den Wein und Schnaps gelöscht?«
    »Vor Hanstholm, an der Westküste. Auf dänische Schmacken verladen.«
    »Namens?«
    »Sie hatten keine Namen – jedenfalls nicht bei Nacht.«
    »Sehr unwahrscheinlich für

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