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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Deutschland«, sagte er.
    Es kostete einige Willenskraft, doch De Haan zeigte keine Reaktion.
    »Zum Marinestützpunkt Warnemünde.« In den Himmel, wo uns die Engel ein Ständchen darbringen. »Wie sich herausstellt, ist diese Noordendam« – er hielt inne, um die rechten Worte zu finden – »für gewisse Leute von Interesse.«
    Wieder sparte sich De Haan eine Antwort, doch Schumpel war ein aufmerksamer Beobachter.
    »Schmeckt Ihnen nicht, was?«, sagte er. »Wenn Sie sich vielleicht der Mühe unterziehen würden, mir einen Grund für dieses Interesse zu nennen, dann hätten Sie bei mir einen Gefallen gut.«
    Die Bar in Algeciras, Hoek in seinem Büro, S. Kolb. »Ich weiß es nicht«, sagte De Haan.
    »Dieses Interesse an höherer Stelle … ist ungewöhnlich.«
    »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Herr Leutnant.«
    Schumpel war enttäuscht. »Na schön«, sagte er. »Ich habe veranlasst, dass ein Steuermann auf die Brücke und eine Besatzung in den Maschinenraum geschickt wird. Ihr Kurs ist Südsüdwest, Kompasspeilung eins neun null. Was ist Ihre Höchstgeschwindigkeit?«
    »Elf Knoten. Bei ruhiger See.«
    »Dann fahren Sie zehn, mein Schiff wird uns eskortieren.«
    De Haan rechnete schnell durch. Bis zur deutschen Ostseeküste waren es an die hundert Seemeilen, zehn Stunden. In zehn Stunden konnte eine Menge passieren. De Haan sah auf die Uhr, es war zehn nach fünf.
    Ein paar Minuten später erschien der Steuermann, während De Haan sich mit dem Maschinenraum in Verbindung setzte. »Hallo Scheldt«, sagte er.
    »Herr Kaptän.«
    »Wir ändern Kurs und halten dann Südsüdwest bei hundertneunzig.«
    Draußen das Geräusch eines Windenmotors, mit dem der Anker eingeholt wurde. »Nach Warnemünde, Scheldt.«
    »Jawoll, Herr Kaptän.«
    Auf der Brücke der Noordendam herrschte der Anschein von Normalität. Scheldt machte am Ruder alle paar Minuten eine Vierteldrehung, um auf Kurs zu bleiben, unten dröhnte der Motor, De Haan rauchte einen seiner Zigarillos. Keine Schiffe in Sicht. Keine besonderen Vorkommnisse an Bord. Schumpel lief auf der Brücke hin und her und überzeugte sich in regelmäßigen Abständen davon, dass die Kompasspeilung seinen Anweisungen entsprach, blickte dann wieder zur M 56 hinaus, die im Geleitabstand von etwas über hundert Metern hinter ihrem Achterschiff tuckerte und schwarzen Rauch ausstieß. Der Gorilla mit der Maschinenpistole lehnte am Schott; die langen Stunden, die vor ihm lagen, schienen ihm einigen Überdruss zu bereiten.
    De Haan wurden die Stunden noch länger. Er hatte sein Bestes getan, doch die Widrigkeiten hatten ihn eingeholt, und was vor zwei Monaten in Tanger begonnen hatte, war jetzt vorbei. Er sagte sich das immer und immer wieder, auch wenn er wusste, dass es Kapitulation, das Ende der Hoffnung bedeutete. Und er begehrte dagegen auf – seine Phantasie zauberte einen Küstenwächter in Falsterbo aus dem Hut, der wiederum der Royal Navy eine Meldung machte, die zufällig gerade ein U-Boot unter diesem Seeweg hatte. Ein plötzlicher Sturm, ein explodierender Boiler. Oder Ratter und die anderen Offiziere in der Messe stürzten sich auf ihre Bewacher und konnten mithilfe der versteckten Waffen das Schiff zurückerobern. Letzteres war nicht völlig auszuschließen, auch wenn sie, falls es ihnen irgendwie gelang, von der 105-mm-Kanone des Minenräumers in Stücke gerissen würden. Doch immerhin wäre das ein ehrenvolleres Ende, besser als das, was sie in Deutschland erwartete. Vernehmung, Exekution.
    Und so wanderten seine Gedanken zwischen Rettung und Verzweiflung hin und her. Sinnlos eigentlich, außer dass es ihn vorübergehend davon abhielt, an Maria Bromen zu denken, was jedes Mal mit einer sehr bitteren Wahrheit einherging – nicht, dass er sie geliebt und verloren hatte, sondern dass er sie nicht hatte retten können.
    20.35 Uhr. In See.
    »Wo sind Sie aufgewachsen, Herr Kapitän?«, fragte Schumpel.
    »In Rotterdam.«
    »Ja? Ich war noch nie da.«
    »Eine typische Hafenstadt, wie viele andere auch.«
    »Wie Hamburg.«
    »Ja, oder Le Havre .«
    »Vielleicht werden Sie Rostock kennen lernen, wo es eine Zentralverwaltung gibt.«
    »Ich bin da schon eingelaufen – die Meeresbucht von Warnemünde rauf.«
    »Diesmal werden Sie, denke ich, nicht mit dem Schiff hinfahren. Vielleicht mit dem Auto.«
    »Vielleicht.«
    »Ziemlich sicher sogar.«
    Danach war er still, schritt weiter auf und ab, sah auf die Uhr, während auf der Brücke das normale Leben

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