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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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mit Gewehr bewacht, festgehalten wurden. Zuerst kam der immer noch barfüßige Ratter, dann Kees und Mr. Ali, gefolgt von Poulsen. Von Kovacz keine Spur, und ebenso wenig von Kolb. Sie hatten sich offenbar erst einmal versteckt. Das galt augenscheinlich auch für Shtern, der – die Hände auf dem Rücken gefesselt, eine geschwollene Prellung unter dem Auge – als Nächster in die Messe geführt wurde. Was die deutschen Kommunisten und republikanischen Spanier betraf, so konnte De Haan nur spekulieren. Für den Augenblick in Sicherheit, dachte er – die Papiere gaben keine politischen Überzeugungen preis –, auch wenn die Sache im Falle von Nachforschungen in Dänemark schon ganz anders aussah. Als Gefangene der deutschen Kriegsmarine hatten sie zumindest eine Überlebenschance; wenn allerdings die Gestapo beschloss, sich einzumischen, waren sie erledigt. Und, musste De Haan sich eingestehen, wenn das passierte, war die Station in Smygehuk ebenfalls erledigt. Die Crew der Noordendam war tapfer, doch die Vernehmungsmethoden der Gestapo würden die Wahrheit zu Tage fördern.
    Schumpel höchstpersönlich geleitete Maria Bromen in die Messe, und sein irritierter Blick in Richtung De Haan sagte mehr, als ihm bewusst war. Hatte sie ihn bearbeitet? Vielleicht. Als sie zum Schott hereinkam, begegneten sich ihre Blicke, aber nicht, um Lebewohl zu sagen. Es ist nicht vorbei, sollte das heißen, auch wenn sie sich, von der Noordendam abgeführt, nie wiedersehen würden.
    15.50 Uhr. Vor der Landzunge Falsterbo.
    De Haan wurde zwecks Überfahrt nach Dragør auf die Brücke geführt, wo ihn Schumpel schließlich mit dem Sündenregister der Noordendam konfrontierte. Punkt eins: Sie hatten eine Pistole im Spind des Heizers Hemstra gefunden. Falls der Leutnant eine Reaktion auf diese Enthüllung erwartet hatte, so wurde er enttäuscht, denn De Haan war verblüfft und machte kein Hehl daraus. Hemstra? Der schlichte, stille, hart arbeitende Hemstra? Dann hatte De Haan ihm dazu also nichts zu sagen?, wollte der Leutnant wissen. Na schön, dann eben zu Punkt zwei: Der Obermaschinist Kovacz wurde vermisst, ebenso wie der Passagier S. Kolb. Eine Ahnung, wo die beiden steckten? Ganz und gar wahrheitsgemäß sagte De Haan, er wisse es nicht.
    »Wir werden sie finden«, sagte Schumpel. »Es sei denn, sie sind ins Meer gesprungen. In diesem Fall sind wir sie los.«
    Und Schumpel kam zu Punkt drei. »Wir können Ihr Codebuch nicht finden«, sagte er.
    »Ich habe angeordnet, es über Bord zu werfen«, sagte De Haan. »Als Kapitän eines Handelsschiffs der Alliierten war ich dazu verpflichtet.«
    »Und wem haben Sie diese Anweisung erteilt, Herr Kapitän, dem Funkoffizier?«
    De Haan schwieg.
    »Wenn Sie nichts sagen, gehen wir davon aus, dass es sich um den Funker handelt.«
    »Ich habe mich an das Kriegsrecht gehalten, Herr Leutnant. Ein deutscher Offizier hätte nicht anders gehandelt.«
    Das machte Schumpel wütend, die Haut über seinen Wangenknochen färbte sich rosa – ein beschlagnahmtes Codebuch wäre das Sahnehäubchen auf seinem Triumph gewesen. Doch er konnte nur sagen: »Dann ist es also der Funkoffizier. Wir werden ihn wissen lassen, dass Sie es uns gesagt haben.« Er hatte noch mehr auf der Zunge, doch einer der deutschen Matrosen kam auf die Brücke und reichte ihm mit den Worten: »Das ist mit dem Beiboot gekommen, Herr Leutnant«, eine Nachricht.
    Schumpel las sie und sagte zu De Haan: »Sie bleiben auf der Brücke«, und zu seinem Gorilla: »Lassen Sie ihn nicht aus den Augen.«
    Und so standen sie beide da, während Schumpel zur Gangway lief. Und standen. Von der Brücke aus konnte De Haan sehen, wie der Leutnant im Heck des Beiboots saß, das ihn zur M 56 übersetzte. Und zwanzig Minuten später, nach einem zarten und vergeblichen Versuch, mit dem Gorilla Konversation zu treiben, entdeckte De Haan, wie Kolb es geschafft hatte zu verschwinden.
    Nicht ohne Bewunderung. Kolb lief in Begleitung eines deutschen Bewachers übers Deck, möglicherweise Richtung Mannschaftsquartier. Oder wohl eher Kombüse, denn Kolb trug die schmutzigste Küchenschürze, die De Haan je gesehen hatte, und dazu die traditionelle Kopfbedeckung eines Frachterkochs – eine Papiermütze mit hochgeschlagenem Rand.
    Im Regen und unter bewölktem Himmel war der Nachmittag früh in die Abenddämmerung übergegangen, als Schumpel wiederkam. Als er die Brücke erreichte, sah De Haan, dass er vor freudiger Erregung geradezu glühte. »Wir fahren nach

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