Die Stunde des Wolfs
vorübergingen und am Ende des Korridors verhallten. Kolb schaute auf die Uhr und sah, dass es nach Mitternacht war. Nicht, dass dies von Bedeutung gewesen wäre – in diesen Etablissements kamen Frauen zu jeder Tag- und Nachtzeit in die Zimmer von Männern. Fräulein Lena, mein Schatz, mein kleines Edelweiß, wo bleibst du nur? Vielleicht hatten sie ihn fallen gelassen, war er plötzlich ganz auf sich gestellt. Für eine Weile schlummerte er ein und schreckte hoch, als er es drei Mal diskret an die Tür klopfen hörte.
9. Mai. Vor Kenitra, Französisch Marokko.
Die Spaltwache, vier bis acht Uhr abends, wurde traditionellerweise in zwei Hälften aufgeteilt, damit jeder zu Abend essen konnte. De Haan hatte am neunten die erste Hälfte übernommen und nun blinzelte er bei Nebel und Nieselregen durch die Tröpfchen an den Fenstern, während die Santa Rosa mit der Breitseite gegen kurze, steile Wellen Richtung Norden drängte, so dass der nördliche Passat die Gischt über den Schiffsbug sprühte. Draußen auf den Nocken lief an den Ölhäuten der Ausgucke das Wasser herunter. Major Sims kam auf die Brücke und sagte, »Scheußliches Wetter da draußen.«
De Haan suchte nach einer taktvollen Antwort – Sims war offenbar noch nicht bei scheußlichem Wetter auf See gewesen, denn das hier war weit davon entfernt. »Na ja, morgen schwenken wir nach Osten ab«, sagte er, »ins Mittelmeer.«
Sims war offensichtlich über die Antwort erfreut und nickte heftig. »Natürlich versucht man, seine Leute zu beschäftigen«, sagte er. »Aber Sie wissen ja, wie das ist, wie die sich derzeit fühlen. Je früher, desto besser.«
Sie standen eine Weile schweigend da, bevor De Haan sagte, »Da gibt es eine Sache bei diesem, diesem Einsatz, Major, die ich wirklich nicht verstehe.«
»Nur eine?«
»Wird ein Kommandoeinsatz nicht in der Regel mit einem U-Boot durchgeführt?«
»Idealerweise schon. Und so hat es, glaube ich, auch angefangen, aber wir haben nur eine begrenzte Zahl davon, und die sind größtenteils oben im Norden. Tatsächlich waren wir verdammt nahe daran, die Sache abzublasen, bis jemand auf den Einfall mit dem Handelsschiff kam. Einem neutralen.«
Die Noordendam mühte sich zu sehr ab, fand De Haan, und ließ den Steuermann ein paar Striche nach West korrigieren.
»Um die Wahrheit zu sagen«, fuhr Sims fort, »ist es da, wo wir hinfahren, für U-Boote alles andere als sicher. Unsere Seite hat das östliche und das westliche Ende des Mittelmeers, mit Gibraltar und der Flotte von Alexandria, aber in der Mitte sieht die Sache ganz anders aus. Es gibt französische Luftstützpunkte in Algier und Bizerte, italienische Flugzeuge hinter der Straße von Sizilien bei Cagliari, und sie haben einen Marinestützpunkt in Trapani, und seit Januar operiert die deutsche Luftwaffe von einem Flugplatz in Taormina in Sizilien aus. U-Boote mögen keine Flugzeuge, Herr Kapitän, wie Sie zweifellos wissen, und nehmen Sie noch die Zerstörer dazu, die Wasserflugzeuge von ihren Decks fliegen lassen, und das Risiko, Ihr U-Boot zu verlieren, ist ziemlich hoch.«
»Und eine Kommandoeinheit zu verlieren.«
»Ich fürchte, derlei Überlegungen spielen keine Rolle. Es geht um die Andrew, also die Royal Navy, die behalten will, was sie hat. Kommandos lassen sich ersetzen.«
Und Trampschiffe auch. »Ja, vermutlich«, sagte De Haan. »Jedenfalls sind wir stolz, unseren Beitrag zu leisten.«
»Ihre Crew auch? Ich bin sicher, Ihre Offiziere sind es.«
»Schwer zu sagen bei der Crew. Sie tun immer, was getan werden muss, so ist das eben bei der Handelsmarine. Ich glaube, für die Männer, die in Holland Familie haben, hat die Idee von einem Angriff etwas Verlockendes. Bei den Übrigen liegt vermutlich jeder Fall anders. Wir hatten im August 39 sechs deutsche Crew-Mitglieder, von denen im September, nach der Kriegserklärung, vier, einschließlich eines unserer Maschinisten, um Erlaubnis baten abzumustern, und wir haben sie in Valparaiso an Land gehen lassen. Doch die anderen beiden sind geblieben. Es gab mal Zeiten, in denen wir nicht über solche Dinge nachdenken mussten – von wegen Seefahrernation und dergleichen –, doch dann kam uns 1939 die Politik in die Quere, und alles war schlagartig anders. Unser Obermaschinist, Kovacz, war Offizier in der polnischen Marine. Er kam Januar 1940 in Marseille an Bord. Er war oben in Danzig gewesen, als die Deutschen angriffen. Sein Schiff explodierte im Hafen.«
»Bombardiert?«
»Sabotage,
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