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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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aus Bizerte auf den Plan gerufen und eine Schlacht ausgelöst, die sich, an diesem Morgen zumindest, niemand wünschte. Einigen wir uns also darauf, uneins zu sein.
    Stattdessen kreiste die Sea Otter über der Noordendam und neigte sich bei aller Schwerfälligkeit doch so weit nach links und rechts, dass es für die winkende Crew nach einem freudigen Wackeln mit den Tragflächen aussah. Als sie sich genau Richtung Norden verabschiedete, begriff De Haan, dass sie nur von einem Zerstörer kommen konnte, der sie jenseits des Horizonts auf dem Radarschirm beobachtet und ihr Funksignal empfangen hatte. Der Flugzeugträger des kleinen Mannes, der seine Flieger zum Start ins Wasser herunterließ und nach einer Landung auf See wieder heraufbeförderte. De Haan suchte mit dem Feldstecher den nördlichen Horizont ab. Leer, nichts zu sehen. Dennoch waren sie irgendwo da draußen, von der Royal Navy, und hielten ein wachsames Augen auf ihre Gehäuse und Drahtgeflechte.
    Sie erwachte ein wenig feucht von der Hitze und bat ihn, das Fenster zu öffnen. Es war eine laue Nacht, bei absolut ruhiger See unter einer dünnen Wolkendecke, mit ein paar Sternen und der Stille einer verdunkelten Stadt mitten im Krieg.
    »Wie spät ist es?«, fragte sie. Er lief zu der Kommode, auf der er seine Uhr abgelegt hatte, und sagte, »Zehn nach drei«, bevor er wieder ans Fenster ging und dabei ihren Blick im Rücken spürte.
    »Wie schön, ich dachte schon, ich hätte zu lang geschlafen.« Sie beugte sich vor, knipste die Lampe aus, stand auf und trat hinter ihn, so dass ihre Haut ihn leicht berührte, und umfasste seine Taille.
    »Am Fenster?«
    »Wieso nicht? Mich sieht ja niemand.«
    Von oben bis unten war ihre Berührung so leicht wie Luft, und er schloss die Augen. »Ich glaube, dir macht es nichts aus, wenn ich dich necke«, flüsterte sie. »Nein, wirklich nicht. Falls doch, musst du es mir natürlich sagen. Auch wenn es dir nichts ausmacht, solltest du es mir besser sagen. Zum Beispiel, ›Demetria, ich mag es, wenn du das tust‹, oder vielleicht gibt es andere Dinge, du brauchst es nur zu sagen, ich bin ein sehr einfühlsamer Mensch.«
    Als sie später wieder im Bett lagen, fragte er sie: »Was heißt das, dieses griechische Wort eben?«
    »Yassou?«
    »Ja.«
    »Das heißt ›Hallo‹.«
    »Ach so.«
    Sie schwiegen eine Weile. »Bist du verheiratet, Eric?«
    »Nein«, antwortete er. »Fast hätte ich geheiratet, mit zwanzig, gleich nach der Marine-Akademie. Ich war mit einem netten Mädchen verlobt, sie war sehr hübsch. Wir waren verliebt, ziemlich jedenfalls, na ja, genug, und sie war bereit, die Frau eines Seemanns zu werden – der nie zu Hause ist, aber … ich hab's nicht getan.«
    Er war unter den Familien von Offizieren der Handelsmarine aufgewachsen, in denen die Frauen, immer allein, die Kinder großzogen und endlos viele Pullover strickten. Er war oft bei ihnen zu Hause gewesen – immer proper und gepflegt, stets roch es nach Bohnerwachs und Essen und nach Opfer und Abwesenheit, und in jedem Zimmer tickten Uhren. Und am Ende wusste er nicht, was er wollte, sondern nur, was nicht.
    »Und deine Familie?«
    »In Holland, meine Mutter und meine Schwester. Ich kann nur hoffen, dass sie die Besatzung überleben. Ich kann mich nicht mit ihnen in Verbindung setzen.«
    »Du kannst nicht?«
    »Ich darf nicht. Die Deutschen lesen alles, und sie mögen keine Familien mit Verwandten bei den freien Streitkräften. Besser, besonders für jemanden wie mich, sie gar nicht erst daran zu erinnern, dass man existiert. Sie sind rachsüchtig, weißt du, schleppen Leute zu Verhören, kürzen ihre Lebensmittelrationen, zwingen sie, umzuziehen.«
    »Trotzdem, wenigstens sind sie in Holland. Die Holländer sind anständige Menschen, mit einer vernünftigen Politik.«
    »Die meisten, aber nicht alle. Wir haben auch unsere Nazis.«
    »Alle haben ein paar, chéri , wie Kakerlaken, man sieht sie nur bei Nacht. Und wenn sie auch bei Tageslicht herauskommen, weiß man, dass man etwas dagegen unternehmen muss.«
    »Mehr als ein paar. Es gibt eine holländische Nazi-Partei. Ihr Symbol ist eine Wolfsfalle.«
    Sie überlegte einen Moment und sagte dann: »Wie ganz und gar widerwärtig.«
    Er nickte.
    »Und du? Vielleicht ein kleines bisschen links?«
    »Gar nichts so recht, fürchte ich.« Das war nicht der Moment, um über die Gewerkschaften, die Komintern, die Brutalität – die Messer und die Eisenrohre – zu sprechen, mit der auf den Docks Politik

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