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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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gemacht wurde. »Ich glaube an Güte«, sagte er. »Mitgefühl. Wir sind in keiner Partei organisiert.«
    »Du bist Christ?«, fragte sie. »Dafür scheinst du mir, ehm, das Bett ein bisschen zu sehr zu lieben.«
    »Christlich vielleicht. Als Kapitän eines Schiffs muss ich sogar jeden Sonntagmorgen eine Predigt halten. Die reinste Qual für mich, den Leuten zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Seid gut, ihr bösen Halunken, oder ihr werdet in der Hölle schmoren.«
    »Du sagst wirklich solche Dinge?«
    »Würde ich lieber nicht, aber so was steht in dem Buch, das wir benutzen. Also brumm ich mir etwas in den Bart.«
    »Du hast ein gutes Herz«, sagte sie. »Gott schütze dich.« Sie legte ihm die Hand an die Wange, drehte sein Gesicht herum und küsste ihn – ein liebevoller Kuss, für das, was er war, und für das, was aus ihm werden würde.
    Im Nachhinein kam ihm diese Unterhaltung wieder in den Sinn. War es nur eine Unterhaltung gewesen oder mehr als das? Eine Befragung? Irgendwie? Nur nackte Tatsachen, vielleicht, aber dennoch aufschlussreich – über sein Leben, seine politischen Überzeugungen, seine Person. Das tat weh, dieser Gedanke, da es ihm eine Zeit lang, während sie schlief, in der Seele wehtat, dass die erste Morgendämmerung sie wieder in Tollpatsche verwandeln würde. Wieso konnte das hier nicht sein normales Leben sein? Es gab genügend Leute, die so lebten, wieso war sein Schicksal anders? Weil es nun mal so war. Punkt. Und gar nicht mal so schlecht, immerhin gab es die gelegentliche amour , die Zufallsbegegnung. Aber war es Zufall? Halt, mahnte er sich, du denkst zu viel. Liebhaber stellen nun mal Fragen, was wäre daran neu? Doch er hatte sie durch, nun ja, einen glücklichen Umstand kennen gelernt, und er hatte schon nach wenigen Wochen und den allerersten Erfahrungen begriffen, dass eine geheimniskrämerische Welt genau auf diese Weise zersetzend wirkte. Da konnte man ins Grübeln kommen.
    Und es gab keinen Zweifel, dass sie, nur eine Stunde, nachdem er am Hafen von Alexandria angelegt hatte, hinter ihm her waren. Zuerst ein Stabsoffizier vom Nachrichtendienst, ein Kapitän, der in einem kleinen Büro schwitzte. Ihm für das, was er getan hatte, dankte und ihn anschließend aufforderte, die Geschehnisse aufzuschreiben, einen Bericht zu verfassen. Das sei so üblich, sagte der Captain, und wenn es ihm nichts ausmache, könne er das auch an Ort und Stelle erledigen, sie würden ein bisschen über das verdammte Ding plaudern, und das wär's auch schon.
    Doch das war's noch nicht. Denn als sie gerade damit fertig waren, kam eine Art viktorianische Erscheinung zur Tür herein, ein Phantom, das sich aus glücklicheren Tagen des britischen Empire materialisierte. Schwer, mit rotem Gesicht und porzellanblauen Augen, dazu einem enormen, gezwirbelten Schnauzbart und sogar einem zusammengesetzten Namen – Soundso-Soundso – gefolgt von, »Nennen Sie mich Dickie wie alle anderen auch!«
    Dickie hatte alles über den Noordendam- Einsatzgehört – »Aber ich muss wohl Santa Rosa sagen, wie?« – und wollte De Haan die Hand schütteln, was er von ganzem Herzen tat. Woraufhin er für Drinks plädierte, in einer ziemlich finsteren Spelunke im Labyrinth des Hafenviertels, dann noch mehr Drinks und anschließend im Khediven-Jachtclub aus – wie er De Haan erzählte – der Zeit der türkischen Vizekönige ›ein albernes Gesöff von einem Tee‹. Der Tee wurde von so etwas wie dem britischen Arts Council in Übersee spendiert – so viel zu trinken – und dort wurde er Demetria vorgestellt. Die dicht bei ihm stand und ihm, während sie sich unterhielten, überschwängliche Blicke schenkte und ihm die Hand auf den Arm legte und irgendwann das Stichwort Abendessen fallen ließ. Also gingen sie in ein Restaurant, wo niemand viel aß und De Haan schon bald, das gute alte Cecil, ganz deutlich spürte, dass seine Sterne außerordentlich günstig standen oder, um es anders auszudrücken, zu gut, um wahr zu sein.
    So gut, dass es ihm herzlich egal war, ob es wahr sein konnte. Und sie hätte, argumentierte er, das, was sie zu tun hatte, bereits in dem kleinen Restaurant tun können – ein Tischgespräch hätte genügt, dazu bedurfte es keines Bettgeflüsters.
    Wirklich nicht?
    Nachdem die Nacht in Zimmer 38 endgültig ihren Abschied genommen hatte, war die Noordendam bei Tageslicht für De Haan nicht leicht zu ertragen. Zu den Erinnerungen in Technicolor und einem pochenden Schädel von

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