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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Gestapo auf sein Grab getreten. »Morgen, mein Schatz«, sagte sie.
    Er sagte, er sei gleich wieder da, und dann hieß es nur noch, ab, in die Toilette, zuschließen, aus dem Fenster und die Gasse rauf. Vielleicht warteten sie schon auf ihn, mochte er das auch nicht glauben. Sie wären morgen Nachmittag im Hotel oder heute bei seiner Rückkehr. Wieso? Doch dafür hatte er keine Zeit. Er hastete die Straße entlang und verdrückte sich in ein Bürogebäude, wo er sich in den Räumlichkeiten eines Versicherungsmaklers versteckte – als potenzieller Kunde, den der Gedanke bedrückte, seine Erben könnten in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Eine halbe Stunde später war er auf dem Weg aus der Stadt, ohne sich um seine im Hotel zurückgelassenen Siebensachen zu kümmern, wie er sie schon in unzähligen anderen Zimmern hinterlassen hatte. In seinem Beruf hing man nicht an Dingen.
    Aber im Ernst, wieso? Er wusste es nicht. Vielleicht hatte sie von Anfang an zu denen gehört, vielleicht erst seit heute, vielleicht lag es am Wetter, vielleicht auch daran, dass er sie zur Sünde verführt hatte. Armes, hilfloses Fräulein Lena, versucht und verführt. Gewiss war ihm immer und immer wieder eingeschärft worden, tu so etwas nie. Nun ja, er hatte es doch getan, zu dumm aber auch, und jetzt stand ihm ein neuer Albtraum bevor, der Albtraum der Nahverkehrszüge. Alles einsteigen, nach Buchholz, Tostedt, Rotenburg. Immer nur Bummelzug – Straßenbahn, wenn es eine gab –, niemals Schnellzug, niemals erster Klasse, da gab es unentwegt Passkontrollen. Er schlief im Stehen oder auf einem Sitz im Gang, an schwitzende Körper gedrückt, Soldaten, Arbeiter, Hausfrauen, alles Deutsche, die, Hitler hin und Bomben her, nach Buchholz, Tostedt oder Rotenburg mussten.
    Stand er auf einer Liste? Was hatte sie getan? Nicht leicht, ihn zu verraten, ohne selbst aufzufliegen, also musste es anonym gewesen sein. »Ich glaube, der Mann, der sich S. Kolb nennt, ist ein Spion. Sie finden ihn unter der und der Adresse.« Nun, falls ja, dann zumindest auf keiner wichtigen Liste – diese Männer suchen wir –, er stand vielleicht auf einer langen Liste – mit diesen Leuten wollen wir uns mal unterhalten. Eine Flut von Denunziationen in einem Staat wie Deutschland, Fräulein Lenas wäre nur eine von vielen. Dennoch konnte er kein Hotelzimmer buchen, keine Grenze überqueren, er musste in den Zügen leben. Und mit der Zeit und etwas Glück würde er Stuttgart erreichen, seine letzte Chance.
    Sein unabhängiger Kontakt, nur für Notfälle bitte. Er hatte den genauen Wortlaut auswendig gelernt, den er verwenden sollte, wie auch die Vorgehensweise, die es penibel einzuhalten galt. Und so machte er sich, endlich in Stuttgart angekommen, sofort ans Werk:
    Zu verkaufen: ein Damenfahrrad und ein Herrenfahrrad, eins rot, das andere grün, beide zusammen für 80 Reichsmark. Goetz, Bernstr. 22.
    An dem Tag, an dem der Eintrag erschien, sollte er sich um zwanzig nach zwei Uhr mittags ins örtliche Kunstmuseum und dort in den dritten Stock begeben, Ebendorfers ›Huldigung des Naxos‹ betrachten – eine grässliche romantische Darstellung eines griechischen Hirten, der mit verschränkten Beinen vor einer zerbrochenen Säule sitzt, Flöte spielt und zu den schneebedeckten Bergen in der Ferne blickt.
    Bleiben Sie zehn Minuten stehen, nicht mehr und nicht weniger. War denen klar, wie lang einem zehn Minuten in der Gesellschaft von Ebendorfer wurden? Doch als es so weit war, kamen keine Spione. Nur zwei gut gekleidete Frauen, die ihn flüchtig ansahen und kurz miteinander sprachen – zweifellos über seinen abscheulichen Geschmack. Armer S. Kolb, verdreckt, verschwitzt, verängstigt und nun auch noch verhöhnt. Um drei war er schon wieder im Zug nach Tübingen.
    Am folgenden Tag erwies er Naxos erneut die Ehre und den Tag darauf noch einmal, diesmal vom freundlichen Nicken eines Museumswärters zu Tode erschreckt. Und als er den Hirten schon endgültig aufgeben wollte, erschien ein gut gekleideter Herr an seiner Seite.
    »Sind Sie ein Bewunderer von Ebendorfer?«
    »Nun ja, ich kenne den in Heidelberg.«
    Gerettet! Das zweiteilige Protokoll erfüllt. Als Nächstes sagte sein Retter, »Scheußliches Machwerk«, blieb einen Moment lang in perversem Staunen stehen und fügte hinzu: »Es ist wirklich vollendet, wissen Sie.«
    Am folgenden Tag brachten sie ihn nach Baden-Baden, wo er im Hinterzimmer eines Ladens auf einem Klappbett schlief. Achtundvierzig

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