Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
Vom Netzwerk:
eigentlich wissen.« Sie zuckte die Achseln.
    Nebenan wurde die Dusche abgedreht. »Tja, also«, sagte Wilhelm, »Käse wird immer teurer.«
    30. Mai. Baden-Baden.
    Für S. Kolb ging der Albtraum weiter.
    Inzwischen in einem grässlichen Badeort, in dem es vor SS nur so wimmelte – und von ihren scheußlichen Abzeichen, Totenschädeln, Äxten und Gott weiß was alles strotzte –, die Nase hoch, die Freundin am Arm. Dem linken Arm wohlgemerkt, der rechte blieb zum Salutieren, zum tausendsten und abertausendsten Heilhitlern frei. Ein Nazi-Paradies, dachte er.
    Noch vor drei Wochen hatte er in Hamburg festgesessen und auf den für ihn zuständigen Offizier gewartet, den Engländer, der sich Mr. Brown nannte und der ihm aus dem Albtraum Deutschland heraushelfen sollte, nachdem dummerweise sein Schiff nach Lissabon versenkt worden war. Da hatte er nun in einem trübseligen Zimmer in einer trübseligen Straße in der Nähe des Hafens vor sich hingeschmort und auf die Rückkehr der Agentin Fräulein Lena gewartet und war sich in der tagelangen Einsamkeit, in der ihm nur Zeitungen Gesellschaft leisteten, in Phantasien über diese Frau ergangen – die, so streng und gesetzt und korsettverklemmt sie auch schien, mit jeder Stunde wilder wurden. Sie gab sich nur als prüde, unnahbare Jungfer aus kleinbürgerlichem Milieu, war seine Theorie. Unter dieser fischbeingepanzerten Schale glimmten Schwelbrände, lauerte insgeheim die Lasterhaftigkeit.
    Und siehe da, so war es auch!
    Hilflos zwischen Vorsicht und Lust hin und her geworfen, hatte er endlich Letzterer nachgegeben, und Fräulein Lena, als sie weit nach Mitternacht endlich an seine Zimmertür klopfte, eingeladen, seine Flasche Aprikosenlikör mit ihm zu teilen. So dickflüssig, so süß, so verhängnisvoll. Und sie nahm an. Es dauerte eine ganze Weile, bis überhaupt etwas passierte, doch als sie das letzte Viertel der Flasche erreichten, endete eine höfliche Konversation zwischen Fremden in einem dicken Aprikosenkuss. Gott, sie war genauso einsam wie er, und es dauerte nicht lange, bis sie genau in dem Korsett im Raum herumstolzierte – wenn auch rosa und nicht schwarz –, an dem sich seine Phantasie entzündet hatte. Und er musste es nicht einmal auseinander nehmen, wie er gefürchtet hatte, das besorgte sie selbst und hatte keine Eile dabei, während er sie mit hungrigen Blicken verschlang. Und schon bald sollte er erfahren, dass darunter in der Tat geheime Verderbtheit lauerte – dieselbe, die alle Welt miteinander teilte, doch was machte das schon, in jener Nacht war sie neu und rosig zart und wurde langsam und eingehend ergründet. Und am Ende dann sogar jene letzte Verderbtheit, die geheimste von allen, die hinter dem siebten Schleier verborgen lag, der archetypisch niemals fiel.
    Nun ja, sie ließ ihn fallen.
    Und beging an ihm Verrat.
    Sie hatte sich ein paar Tage nach ihrer gemeinsamen Nacht in einer Teestube mit ihm getroffen – strahlend gelb, mit Zierdeckchen und Rüschengardinen und in allem viel zu klein, und sie hatte ihm gute Neuigkeiten von Brown mitgebracht. Welche ehemalige Komintern-Geheimagenten auf einem lettischen Fischerboot betrafen, die am Siebenundzwanzigsten außerplanmäßig in der Stadt anlegen sollten. Diese russischstämmigen Männer aus der lettischen Minderheit sollten ihn verschwinden lassen und in einem italienischen Hafen absetzen – Nizza, ehemals französisch, seit Neustem italienisch und bekanntermaßen flexibel gegenüber verdächtigen Passagieren, ob sie kamen oder gingen, so lange sie nicht mittellos reisten. Und sie hatte, meldete sie ihm voller Eifer, eine neue Identität für ihn, da doch dieser alte S. Kolb zu einem Ladenhüter wurde, nicht wahr? Diese Papiere würde sie ihm in seinem Zimmer überreichen. Und zwar morgen Nachmittag. Zu einem Zeitpunkt, da, ihr Blick sagte alles, unaussprechliche Wonnen auf ihn warteten.
    Und da wusste er Bescheid. Sie hatte ihn verkauft oder war im Begriff, es zu tun, oder dachte darüber nach. Worin genau hatte er das gelesen? Ihren Augen? Ihrer Stimme? Ihrer Seele? Er hätte es nicht sagen können, doch seine Antennen liefen heiß, und das genügte. Als erfahrener Geheimagent wusste er, je schneller die Flucht, desto besser. Und so nahm er über dem Gugelhupf ihre Hand, sagte, er könne es kaum erwarten, ob sie wohl jetzt gleich irgendwo hingehen und zusammen sein könnten? Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte sie, und in diesem Augenblick schauderte er, als sei die

Weitere Kostenlose Bücher