Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
geweint. Was zum Teufel ging nur in ihm vor?
An der Tür drehte sie sich noch einmal um. Einen scheinbar endlosen Augenblick sahen sie sich an. Ihr Gesicht wirkte kalt, doch ihre grünen Augen waren voller Sehnsucht. Sie wartete noch immer auf ein freundliches Wort von ihm.
Er räusperte sich erneut. Ein dicker Kloß saß in seiner Kehle. Wenn er jetzt sprach …
Leise schloss sich die Tür. Einen Herzschlag lang wollte er ihr folgen. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Er trat ans Fenster, um ihr zuzusehen, wenn sie ihr Pferd aus dem Stall holte. Stumm verfluchte er sich. Sie brachte sein Leben durcheinander. Jedes zweite Mal, wenn sie sich sahen, stritten sie sich, und doch bedeutete sie ihm mehr als jeder andere Mensch auf der Welt. Auch wenn er es ihr vielleicht niemals würde sagen können …
Mit langen Schritten eilte sie auf den Platz unter dem Fenster. Es hatte begonnen zu schneien. Wie dünner weißer Staub lag der Schnee auf den Dächern der Stadt, die sich schwarz gegen den bleigrauen Nachthimmel abzeichneten. Von der Stellmacherei ertönte das heisere Krächzen einiger Raben, die sich in einen windgeschützten Winkel unter den Dachfirst duckten.
Er hatte ihr nicht einmal ein Nachtquartier angeboten. Bis Sternberg waren es nur zwanzig Kilometer, doch bei Nacht würde sie dreimal so lange wie bei Tageslicht brauchen, um die Strecke hinter sich zu bringen.
Gabriela war plötzlich stehen geblieben. Ob sie zu ihm hochblicken würde? Auf dem Kartentisch stand ein vielarmiger Kerzenleuchter. Sie würde seine Silhouette deutlich vor dem Fenster erkennen können.
Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten des Stalls und kam ihr entgegen. Besorgt beugte sich von Bretton so weit vor, dass seine Stirn die kalte Fensterscheibe berührte. Es war Branko, sein Bursche. Erleichtert atmete er aus und ein grauer Schleier zog sich über das Glas. Der Junge hatte Dienst in dieser Nacht. Es war seine Pflicht, sich um das Pferd des Meldereiters zu kümmern und darauf zu warten, ob der Adjutant zurückkehrte. Ob er Gabriela wohl wiedererkannt hatte? Von Bretton schüttelte bedächtig den Kopf. Nein, das war unmöglich. Zu sehr hatte sie sich verändert … und es war dunkel. Das Letzte, was Branko von Gabriela gehört hatte, war, dass sie von Räubern entführt worden war. Es gab keinen Grund für ihn, nach ihr Ausschau zu halten oder auch nur Verdacht zu schöpfen. Seit General Nádasdy sein Hauptquartier hier in der Festung bezogen hatte, kam täglich ein halbes Dutzend Meldereiter.
Von Bretton wischte mit der Hand über die Scheibe, um wieder sehen zu können. Die beiden waren verschwunden. Alles was geblieben war, waren ihre dunklen Spuren, welche die dünne Schneedecke durchbrochen hatten, sodass schwarz das Pflaster des Hofs hindurchschimmerte.
Es hatte Momente gegeben, in denen er wie ein Vater für Gabriela fühlte. Er lächelte traurig und blickte zum Nachthimmel. Seine Gedanken wanderten weit in die Vergangenheit bis zu jenem Sommer … Obwohl Juliette ihn betrogen hatte, war er ihr immer treu geblieben. Er war ein romantischer alter Narr. Seine Hände schlossen sich fester um den kalten, polierten Offiziersstock. Er dachte an jenen verfluchten Tag, an dem er zu früh auf seinen Familiensitz zurückgekehrt war … An den schwarzen Hengst mit den goldbestickten Pistolentaschen, der im Hof gestanden hatte. Ein Pferd, das er gut kannte. Es gehörte seinem Vorgesetzten, dem Feldmarschall-Lieutenant Claude Alexandre Comte de Bonneval. Er war Franzose, genau wie seine Schäferin, wie er sie immer genannt hatte, wenn sie beide allein gewesen waren. »Comtesse Juliette de Châlus«, murmelte er leise. Ihr Name versetzte ihm immer noch einen Stich ins Herz.
Der alte General seufzte. Sie war ein wenig wie Gabriela gewesen, auch wenn sie sich freilich nicht für einen Mann hielt. Ihre erste Begegnung endete mit einem Streit, und er war es schließlich, der sich nach Wochen bei ihr entschuldigt hatte. Stolz und unbeugsam war sie gewesen, seine Comtesse. Gerne hatte sie erzählt, dass sie in jenem düsteren Turm geboren ward, vor dem einst Richard Löwenherz tödlich verwundet worden war. Es war wohl schon immer das Schicksal der de Châlus gewesen, Unglück zu bringen …
Von Bretton dachte wieder an jenen Sommernachmittag, an dem sich entschieden hatte, dass er für immer allein bleiben würde. Er hatte nichts Übles gedacht, als er das Pferd damals sah, und auch das Personal war ohne jeden Argwohn gewesen.
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