Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin

Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin

Titel: Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
Vom Netzwerk:
verwaist. Nichts erinnerte mehr an die Anwesenheit des Raubtiers.
    Wie damals stieg sie auf den Turm und blickte über die Wipfel der Bäume hinweg. Hier hatte sich nichts verändert, und doch war ihre Welt eine ganz andere geworden. Aber war das von Bedeutung? Vielleicht war sie schon in einer Woche nur mehr ein Fraß für die Würmer. Sie versuchte, an nichts mehr zu denken und nur noch den treibenden Wolken zuzusehen. Es gelang ihr nicht. Selbst am Himmel schien er präsent zu sein. Mal erinnerte sie eine Ausbuchtung an seine Nase oder die Locken seiner Perücke, und dann schien sich gar sein ganzes Profil in einer dunklen Schneewolke zu zeigen.
    Schließlich war sie durchgefroren und ihre Finger rot wie Zimt. Mit steifen Gliedern kletterte sie vom Turm hinab und stieg in den Sattel. Nazli begrüßte sie mit freudigem Wiehern.
    Als Gabriela das Stadttor an der March erreichte, war es schon dunkel. So bestand keine Gefahr, dass sie einer der Soldaten vielleicht trotz der Uniform wiedererkannte. Zunächst fragte sie, ob der General Nádasdy in der Stadt sei, und erfuhr, dass der Banus die Truppenquartiere in der Region inspizierte. Dann erkundigte sie sich nach dem Befehlshaber der Festung und ließ sich den Weg zur Kommandantur erklären, als sei sie noch niemals in der Stadt gewesen.
    Als sie den Exerzierplatz erreichte und sich aus dem Sattel schwang, kam ein Stallbursche herbeigelaufen, um ihr Pferd unterzustellen. Es war Branko. Der Junge war im letzten halben Jahr fast um einen Kopf größer geworden. Brummend bedankte sie sich, als er die Zügel nahm, und senkte den Blick. Doch ihre Vorsicht schien unnötig zu sein. Er hatte sie nicht wiedererkannt.
    Mit langen Schritten eilte sie der Kommandantur entgegen.
    »Ein Bote von General Nádasdy, Herr General!«
    »Soll reinkommen.« Von Bretton hob den Blick nicht von dem Schreiben, das ihn eine Stunde zuvor erreicht hatte. Es sah so aus, als wolle man ihn hier in der Festung verschimmeln lassen! Mit dem Brief wurde sein Ersuchen, zum Feldheer versetzt zu werden, freundlich, aber bestimmt zurückgewiesen. Er war sich sicher, dass die Gräfin Uhlfeld dahintersteckte. Seit dem Unfall mit ihrem überfressenen Hund gelang ihm nichts mehr, was immer er auch begann. Einen Monat zuvor hatte er den Prinzen Joseph Wenzel Liechtenstein dringend darum ersucht, ihm weitere Geschütze zur Bestückung der Festung zukommen zu lassen. Der Prinz war der oberste Artillerieoffizier in Diensten der Kaiserin, und eigentlich hatte er sich mit ihm immer gut verstanden. Von Bretton nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. Obwohl der preußische Feldmarschall Graf Schwerin mit seinem Armeekorps irgendwo an der Grenze stand, hatte man jede weitere Verstärkung für die Festung verweigert. Der General fluchte leise. Durch solch kleingeistige Intrigen konnten Kriege verlorengehen.
    Die Tür zum Kartenzimmer hatte sich geschlossen. Jemand räusperte sich leise. Eine bodenlose Frechheit! Der junge Schnösel von Ordonanzoffizier sollte gefälligst warten!
    Sorgfältig faltete von Bretton das Schreiben, dem er verdankte, dass er am Feldzug des nächsten Frühjahrs gewiss nicht teilnehmen würde, und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Als er den Mann an der Tür sah, fiel ihm die Meerschaumpfeife aus der Hand. Für einen Augenblick konnte er spüren, wie sein Herz aussetzte zu schlagen. Es war sein Bruder Carolus! So wie er vor dreißig Jahren ausgesehen hatte, als sie gemeinsam gegen die Türken geritten waren.
    »Ich bringe Nachricht von Ihrer Nichte.«
    Von Bretton schluckte. Selbst ihre Stimme klang ganz so wie die seines Bruders. Er kniff die Augen zu. War das ein Traum? Als er wieder zur Tür blickte, stand Gabriela immer noch dort. Sie trug eine Uniform in den Farben von Nádasdys Regiment. Wie zum Teufel war ihr das geglückt? Das konnte doch nicht sein … Mit forschen Schritten trat sie an seinen Tisch.
    »Ich bin keine Erscheinung, Herr Onkel! Ich lebe noch!«
    »Bei Gott, was tut Sie in diesem Amazonenkleide? Wenn man Sie so sieht … «
    »… dann behandelt man Sie so, wie es einem Adjutanten des Generals Nádasdy zukommt«, führte Gabriela den Satz zu Ende. »Im Übrigen scheint Ihr ja nicht gerade erfreut darüber zu sein, dass ich noch unter den Lebenden weile.«
    Der General schüttelte erbost den Kopf. Was bildete sich diese Göre ein! »Was, in drei Teufeln Namen, ist in Nádasdy gefahren, dich zu seinem Adjutanten zu machen.«
    Sie setzte ein impertinentes Lächeln auf.

Weitere Kostenlose Bücher