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Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin

Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin

Titel: Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
Autoren: Bernhard Hennen
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Gestalt ihres Vaters noch vor sich, als hätten sie sich erst gestern zum letzten Mal gesehen. Er war so stolz auf sie gewesen, als sie einen riesigen Keiler mit einem Glückstreffer durch das rechte Auge gefällt hatte. Und dann der Winter, in dem sie gemeinsam auf Wolfsjagd gegangen waren. Eine ganze Woche waren sie in den verschneiten Wäldern unterwegs gewesen, doch am Ende hatte jeder von ihnen drei Wolfsschwänze an seinem Tornister hängen gehabt.
    In der Ferne krachten Schüsse. Wütend ballte sie die Fäuste. Obwohl sie allen bewiesen hatte, was für eine Schützin sie war, duldete ihr tyrannischer Onkel kaum, dass sie eine Flinte auch nur ansah. Sie würde sich sehr verstellen müssen, um mit ihm zusammenleben zu können. Hoffentlich würde ihnen der Wolf entwischen! Sie hatten es nicht verdient, ihn zu stellen. Er war frei und wild … Könnte nur auch sie so leben. Ihr Onkel dachte vermutlich darüber nach, sie zu verheiraten. Hoffentlich hatte er nicht den Fähnrich ins Auge gefasst!
    Wieder waren vereinzelte Schüsse zu hören. Wie viele davon wohl trafen? Sie lächelte hämisch.
    Mehr als eine Stunde blieb sie auf dem Turm und blickte über das Meer aus Baumwipfeln, dann stieg sie die halb verfallene Treppe hinab. Sie durfte nicht zu lange fortbleiben, sonst würde ihr niemand mehr die Geschichte mit dem durchgegangenen Pferd glauben.
    Ihre Stute schnaubte, als sie zu dem Eisenring trat und das Tier losband. Nazli schien noch immer nervös zu sein. Warum nur? Sie nahm sie am Zügel und verließ den verfallenen Turm. Nahe dem Eingang gab es eine große, schlammige Pfütze. Vielleicht wäre es besser, wenn sie ein wenig mitgenommen aussah? So als sei sie gestürzt. Sie kniete nieder, griff in die schlammige Erde am Rand der Pfütze und rieb ihren Rock mit Schmutz ein. Niemand würde ihr unterstellen, dass sie dies mit voller Absicht getan hatte. Jedenfalls nicht, wenn sie ein unschuldiges Gesicht aufsetzte, ein wenig hinkte, von ihrem schlimmen Sturz erzählte und davon, wie sie sich im Wald verirrt hatte. Sie wollte sich gerade aufrichten, als sie die Spur auf der anderen Seite der Pfütze sah. Es waren Pfotenabdrücke wie von einem riesigen Hund. Gabriela schluckte. Er war hier gewesen. Plötzlich spürte sie ein eigenartiges Kribbeln im Nacken, so als würde sie beobachtet. Sie durfte jetzt keine Angst zeigen! Ihr Vater hatte ihr einmal erzählt, dass Wölfe es riechen könnten, wenn man sich vor ihnen fürchtete, und dass sie dann noch wilder würden.
    Nazli blähte die Nüstern. Sie hatte die Ohren steil aufgestellt und starrte in Richtung einer verfallenen Mauer aus Bruchstein, die kaum noch kniehoch aufragte.
    Gabriela griff nach den Zügeln und streichelte dem Pferd beruhigend über den Nacken. »Ist er gekommen, als ich oben auf dem Turm war? Keine Angst, meine Schöne … Wir haben bis jetzt Glück gehabt. Der Graue wird uns schon nichts tun. Sicher weiß er, dass er gejagt wird!«
    Mit einem Satz war Gabriela im Sattel. Aufmerksam musterte sie das Trümmerfeld und die niedrigen Büsche, die zwischen den Ruinen wuchsen. Der Wolf war nirgends zu sehen. Sie hatte die Lichtung fast schon verlassen, als ihr eine schmale, dunkle Öffnung neben einem Busch auffiel. Ein halb verschütteter, gewölbter Torbogen. Offenbar einst der Eingang zu einem Keller. Für einen Wolf musste der Durchschlupf groß genug sein. Das war seine Höhle! Einen Herzschlag lang überlegte sie, ob sie wieder absteigen sollte, um ganz sicherzugehen, dass sie sich nicht irrte. Der Wolf konnte nicht in den Ruinen sein! Er hätte sonst mit Sicherheit ihre Stute gerissen, als sie am Eisenring angebunden war. Es war der Raubtiergeruch, der Nazli nervös gemacht hatte. Noch immer war ihr Pferd unruhig. Vielleicht war es ja klüger als sie.
    Gabriela blickte zum Himmel. Es war schon früher Nachmittag. Sie durfte der Jagdgesellschaft nicht noch länger fernbleiben. Wenn ihr Onkel ihr Spiel durchschaute, würde er sie womöglich erneut wochenlang einsperren. Außerdem war sie unbewaffnet. Wenn der Wolf sie überraschte … Nein, es war klüger zu gehen. Sie würde sich den Weg durch den Wald gut merken, damit sie die verborgene Ruine wiederfand, und sobald wie möglich zurückkommen, um den Grauen eigenhändig zu erlegen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie einen Wolf schoss. Sie würde es allein schon deshalb tun, um ihrem Onkel zu zeigen, dass sie keine Frau war, die man einfach so verheiratete. Von Männern hatte sie nach ihren
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