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Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin

Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin

Titel: Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
Autoren: Bernhard Hennen
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nicht entdecken, der sie angerufen hatte. »Eine Depesche für den Baron von Gewitsch. Der General wünscht, dass die Nachricht den Baron bis Morgengrauen erreicht.« Sie verstellte ihre Stimme und hoffte wie ein mürrischer, zu früh aus den Federn geworfener Meldereiter zu klingen. Unsicher tastete Gabriela nach dem falschen Schnauzer. Endlich konnte sie vage den Umriss einer Gestalt neben der Laterne erkennen.
    »Na dann viel Glück, Kamerad. Bei dem Nebel verirren sich einem ja die Hände auf dem Weg zu den Manteltaschen.«
    Gabriela knurrte etwas vor sich hin und lenkte dann ihre Stute durch das Tor. Erleichtert atmete sie auf. Gut, dass in der Garnison Infanterie und keine Kavallerie einquartiert war. Einem Reitersoldaten wäre mit Sicherheit aufgefallen, dass sie auf der Stute der Generalsnichte ritt, und es hätte Fragen gegeben.
    In der Stadt war es völlig finster. Nirgends brannte ein Licht, und die Häuserfassaden ragten, schroffen Felsen gleich, in die Nacht. Jetzt musste sie nur noch das Stadttor passieren, dann könnte sie sich endlich auf die Spur des Wolfes setzen.
    Bevor sie sich auf den Weg in den Wald machte, hatte Gabriela Nazli bei einem Bauerngehöft zurückgelassen. Sie konnte die Stute nicht brauchen, wenn sie auf die Pirsch ging. Spätestens zweihundert Schritt vor der Ruine hätte sie das Pferd zurücklassen müssen, und dort wäre die Stute dann vielleicht zur Beute des Wolfes geworden, wenn er nicht in seinem Versteck war.
    Schon der Weg bis zum Bauernhof hatte eine Ewigkeit gedauert. Fast dreimal so lange wie bei Tageslicht. Zweimal hatte sie unterwegs eine Wegkreuzung verfehlt und war gezwungen gewesen, wieder umzukehren. Draußen auf dem flachen Land und entlang der Ufer der March schien der Nebel noch dichter zu sein als in Olmütz. Wie eine weiße, weiche Glocke umschloss er Gabriela und so, als läge ein Zauber auf ihm, veränderte er selbst vertraute Geräusche in angsteinflößende, fremdartige Laute.
    Einmal glaubte Gabriela, in der Ferne das Heulen eines Wolfes zu hören. Sie verharrte augenblicklich, um zu lauschen, doch nun blieb es still. Sie erinnerte sich noch genau an das Geheul der Wölfe, die sie mit ihrem Vater in den Bergen des Banat gejagt hatte. Doch dieses Geheul klang anders. Auf schwer zu beschreibende Weise falsch …
    Als sie weiterging, hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Ganz langsam zog sie eine der beiden Pistolen aus ihrem Gürtel und spannte den Hahn. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, bei diesem Wetter auf Pirsch zu gehen. Sie würde den Wolf erst im allerletzten Moment bemerken. Ihr bliebe kaum länger als ein Herzschlag, um die Waffe auf ihn zu richten und abzudrücken. Der Graue hingegen würde sie schon von weitem hören.
    Ganz ruhig, sagte sie sich in Gedanken. Genauso gut konnte es sein, dass er in seiner Höhle lag und sie ihn überraschen würde. Vorsichtig setzte sie einen Schritt vor den anderen und achtete darauf, stets auf nasses Laub zu treten, um sich so lautlos wie möglich zu bewegen.
    Sie kam in eine Gegend, wo der Wald ganz aus grauen Buchen bestand. Die Sonne musste schon aufgegangen sein. Jedenfalls wurde der graue Dunst um sie herum langsam heller, allerdings ohne dass dadurch die Sicht besser geworden wäre. Wie Säulen ragten die schlanken Stämme empor. Die Baumkronen blieben im Nebel verborgen. Fast schien es, als sei sie in einen heidnischen Tempel geraten. Einen Kultplatz, an dem unaussprechlichen Göttern gehuldigt wurde.
    Sie durfte diesen Fantasien keinen Raum gewähren! Gabriela versuchte, sich an ihren Weg zu der Ruine zu erinnern. Wenn sie sich verschätzte, würde sie noch stundenlang im Nebel umherirren. Selbst wenn sie nur um zwanzig Schritt an den verfallenen Mauern vorbeiging, würde sie es bei der schlechten Sicht wohl kaum bemerken.
    Plötzlich erinnerte sie sich an die schwarze Feuerstelle, die sie in der Turmruine gesehen hatte. Was war, wenn die Bauern mit ihren Geschichten recht hatten? Sollte die Bestie, die das Land terrorisierte, wirklich ein Werwolf sein, dann würde er zuweilen auch menschliche Gestalt annehmen! Und würde er dann nicht ein Feuer machen, um sich an kalten Tagen zu wärmen? Sie hätte sich die Feuerstelle näher ansehen müssen! Es war töricht gewesen, sie völlig unbeachtet zu lassen!
    Leichter Wind war aufgekommen und fuhr raschelnd durch das letzte Laub in den hohen Baumwipfeln. Ein goldrotes Blatt streifte ihre Wange. Aus den Augenwinkeln glaubte sie eine Bewegung zu sehen.
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