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Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin

Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin

Titel: Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
Autoren: Bernhard Hennen
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setzen konnte.
    Für einen Moment hatte Gabriela das Gefühl, dass der Wolf wusste, dass ihm von der Pistole keine Gefahr mehr drohte. Sie musste wieder an die Geschichten über Werwölfe denken und an den sächsischen Moritatenerzähler auf dem Marktplatz. Halb ängstlich und halb in seinen Bann geschlagen, musterte sie das Raubtier. Für einen Wolf sah die Bestie merkwürdig aus. Sie war zu groß und ihre Schnauze war auch nicht so spitz wie bei dem Grauen, der tot zu ihren Füßen lag. Die Pfoten und die Brust des Tieres waren weiß. Am eigentümlichsten aber war eine weiße Blesse, die sich unter dem rechten Auge des Wolfes bis zu seiner Schnauze zog.
    Er schien keinerlei Angst vor ihr zu haben. Ganz anders als Wildtiere, die dem Menschen sonst stets mit Scheu begegnen. Vorsichtig tastete sie mit der Linken nach der anderen Pistole, die sie nach dem Schuss hatte fallen lassen. Zur Not könnte sie die schweren, metallbeschlagenen Waffen auch wie Keulen benutzen. Das war allemal besser, als sich mit bloßen Händen gegen einen Wolf zu verteidigen. Warum die Bestie sie wohl nicht angriff? Wollte sie mit ihr spielen wie eine Katze mit einer Maus?
    Ein leises Knurren erklang tief aus der Kehle des Wolfes, als ihre Hand sich um die Waffe am Boden schloss. Gabriela hob die Pistole auf. Das Knurren wurde lauter. Sie konnte sehen, wie sich die Muskeln des Wolfes unter dem dichten Fell spannten. Seine Rute stand waagerecht nach hinten.
    Gabriela ließ die Pistole fallen. Sofort hörte das Tier auf zu knurren. Was sollte dieses Spiel? Warum tötete der Wolf sie nicht einfach? Sie wünschte, sie hätte ihren Säbel oder wenigstens ein Jagdmesser mitgenommen.
    Eine Minute bräuchte sie, um ihre Waffe nachzuladen. Danach wäre sie wieder Herrin der Lage. Doch der Wolf würde ihr keine Gelegenheit dazu geben. Ob die beiden ein Paar gewesen waren? Sie blickte zu dem Kadaver zu ihren Füßen. Es war ein Rüde. Das hieß … Gabriela blickte in die klaren, blauen Augen. Eine Wölfin! Oder war sie ein Mischling? Eine große, verwilderte Hündin? Woher kannte sie die Menschen so gut? Und wie lange würde ihr stummes Duell andauern? Gab es vielleicht noch andere Wölfe im Wald? Doch was auch immer der Grund für dies merkwürdige Verhalten war, die Wölfin würde sie gewiss nicht entkommen lassen. Wenn sie nicht schnell eine Möglichkeit fand, die Bestie zu vertreiben, dann wäre es um sie geschehen.
    Ihre freie Hand tastete nach der ledernen Tasche, die ihr über die Schulter hing. Vorsichtig zog Gabriela das silberbeschlagene Pulverhorn heraus. Es gab noch eine allerletzte Möglichkeit, die Wölfin zu vertreiben. Misstrauisch folgten ihr die Blicke der Bestie.
    Gabriela öffnete den Verschluss des Horns. Ein dünner Strom aus feinkörnigem Schießpulver rieselte auf den Laubboden. Mit der Rechten spannte sie den Hahn der zweiten Pistole, die sie immer noch in der Hand hielt.
    Das Knurren der Wölfin wurde lauter. Ihre Lefzen entblößten die tödlichen, weißen Fänge. Gabriela zog das Horn zurück. Im selben Augenblick hielt sie die Pistole dicht über das Pulverhäufchen am Boden und ließ den Hahn mit seinem Feuerstein auf die stählerne Pfanne schlagen. Funken stoben. In einer blendend grellen Stichflamme verbrannte das Pulver. Der dichte Rauch nahm ihr den Atem und der Pulverdampf brannte in ihren Augen. Als sie wieder klar sehen konnte, war die Wölfin verschwunden.
    In aller Eile begann Gabriela ihre Pistolen nachzuladen. Dabei lauschte sie auf jedes Geräusch. Ihr Herz hämmerte laut wie eine Trommel, als sie mit einem Schlag die Kugel im Lauf der ersten Pistole versenkte.
    »Nun, wo steckst du?« Herausfordernd blickte sie sich um, doch die Wölfin blieb verschwunden. Wie graue Gespenster zogen die dünner werdenden Nebelschwaden zwischen den Bäumen. Jetzt würde es leichter, sich zu orientieren, doch der Weg zurück zum Gehöft, in dem sie ihr Pferd untergestellt hatte, war noch weit. Gabriela war sich sicher, dass die Wölfin irgendwo unterwegs auf sie warten würde. Ja, die Bestie würde in einem Busch lauern, um sie von hinten anzuspringen und ihr das Genick zu brechen.
    Sorgfältig lud Gabriela die zweite Waffe. Dann betrachtete sie den Kadaver. Der Wolf war kleiner als seine Gefährtin gewesen. Sie musste ihn in die Stadt bringen, wenn sie den Geschichten der Bauern ein Ende machen wollte!
    Entschlossen packte sie das tote Tier und legte es sich quer über die Schultern. Das Gewicht ließ sie aufstöhnen. Dann nahm
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