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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: blazon
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war es nicht lange genug. Nun störte ein Rauschen ihre Ruhe. Das Geräusch kannte sie. Ein Körper, der ins Meer sprang. Unter Wasser drehte sie sich um und genoss ihre Schwerelosigkeit. Von Weitem erkannte sie Tanijen. Er tauchte zu ihr hinunter, ohne Taucherbrille, die Augen zusammengekniffen. Früher hatte er mühelos die Purpurmuscheln vom Grund der Bucht geholt, doch jetzt reichte sein Atem kaum noch für einen Tauchgang unter die ausgespülten Hallen von Dantar.
    Hektisch ruderte er mit den Armen und machte das Zeichen der Taucher. Sofort hochkommen!, signalisierte er ihr. Gefahr!
    Ihr Herz begann unter Wasser dumpf schneller zu pochen. Doch im ersten Reflex reagierte sie ganz instinktiv und tauchte noch tiefer nach unten. Die Gefahr war an der Oberfläche, hier dagegen war sie geborgen. Als vor zwei Tagen der Sturm aufgekommen war, war sie zum Glück gerade im Meer gewesen, in einer der tiefen Buchten, in denen es seltene Azurit-Korallen gab. Kurz vor der ersten Flutwelle war sie hinuntergetaucht und hatte sich zwischen den armdicken Fingern einer Koralle verkrochen, dem Rauschen über sich und dem Dröhnen ihres Herzens lauschend. Mit einem von Inus Seilen hatte sie sich gesichert und war nur zum Luftholen zu dem schäumenden, brodelnden Himmel hinaufgeschwommen, der das Licht des Sturms in Tausende von Farben hatte zersplittern lassen. Am Seil entlang hatte sie sich immer wieder in die Geborgenheit des kühleren Wassers gehangelt. Die Naj hielten sich gewöhnlich fern von den Riffen, aber an diesem Tag hatte sie in der Ferne immer wieder das Blitzen von dünnen Hautschleiern gesehen, auf denen sich die Sonne brach. Die Naj waren neugierig gewesen, natürlich. Neugierig darauf, zu sehen, wie die Menschenstadt unter der Wucht des Meeres ächzte und brechen würde.
    Tanijen tauchte mit ungewöhnlich hektischen Bewegungen ab. Das machte ihr Angst. Etwas war passiert. Sie würde nicht darum herumkommen aufzutauchen. Langsam schwamm sie ihm entgegen und streckte die Hand nach ihm aus, die er ergriff, als müsste er sie aus dem Rachen eines Hais retten. Gischt peitschte ihnen ins Gesicht, als sie auftauchten.
    »Ich suche dich seit einer Ewigkeit«, keuchte Tanijen.
    »Warum? Ist etwas passiert? Mit Inu?«
    Ohne zu antworten, drehte er sich um und schwamm mit langen Zügen an Land. Sabin verabschiedete sich widerwillig vom Wasser und folgte ihm in die unerträgliche Schwere der Luft.
    Kaum war sie über den Felsen an Land geklettert, fand sie sich in Tanijens Umarmung wieder. »Sabin«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Einen Augenblick dachte ich…«
    Er drückte sie an sich und sie ließ sich in die Umarmung fallen. Plötzlich war sie froh, dass er hier war, und sie schämte sich beinahe dafür, dass sie sich einsam gefühlt hatte.
    »Was ist los?«, fragte sie noch einmal.
    »Ein Tier hat Amber angegriffen.«
    »Ein Tier?« Beinahe hätte sie gelacht. Ein ganzer Schwall von spöttischen Bemerkungen lag ihr auf der Zunge. Tanijen bemerkte das verräterische Zucken um ihre Mundwinkel und fasste sie an den Schultern, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte. Die goldenen Sprenkel in seinen Augen leuchteten im Sonnenlicht.
    »Mach dich nicht darüber lustig«, sagte er ernst.
    Sabin versuchte den dumpfen Stich in ihrer Brust zu ignorieren. Er war Tanijen und er war es doch nicht. Es war, als würden sie seit Satus Tod in zwei Welten leben – sie zwischen Meer und Schiffsfriedhof, zwischen dem nächsten Auftrag und drohender Not. Und Tanijen zwischen ihr und seinem Traum von den Sternen am Himmel, die ihm mehr bedeuteten als die Korallen und Perlen am Meeresgrund. Seit Tanijen bei den Navigatoren war, verloren die Gesetze des Wassers mehr und mehr ihre Gültigkeit.
    »Wir müssen zurück in die Burg auf der Klippe«, fuhr er fort. »Amber und Inu sind bereits dabei, die Fenster und Türen zu verriegeln…«
    »Ihr wollt wirklich in dieser Gruft bleiben? Nur weil es auf der Insel Tiere gibt? Warum übernachten wir nicht am Strand in einem der Schiffsrümpfe?«
    »Bitte, komm mit!«, beharrte Tanijen sanft. Und für einen Augenblick war er wieder der Taucher, den sie kannte, seit sie ihre erste Perle gefunden hatte, und nicht der Fremde, der dem Meer abgeschworen hatte. »Bitte, Sabin! Es ist nur für diese eine Nacht.«
    Sabin wollte etwas antworten. Doch stattdessen ertappte sie sich dabei, wie sie einfach nur nickte. Ihre Zustimmung schien ihn noch mehr zu erstaunen als sie selbst, sein Gesicht leuchtete in einem

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