Die Sturmrufer
Wut mit einem Schlag völlig auf sich zog.
Im Fenster hinter Sabin kochte die Dunkelheit. Eine Klaue klackte auf Stein.
Amber reagierte blitzartig: Im Sprung packte sie die Taucherin um die Taille und riss sie von den Beinen. In einer Staubwolke kamen sie auf dem Boden auf. Eine Schulter traf sie hart an der Stirn, aber sie fühlte keinen Schmerz.
»Was zum Kerot…«, fluchte Sabin.
Amber stieß sie grob weg. »Zur Tür! Mach, dass du rauskommst!«
Sie rappelte sich auf und wirbelte zum Fenster herum. Der Mond war hinter Wolken verschwunden und ließ sie in der Dunkelheit zurück. Sie erahnte eine Gestalt, die sich von außen an der Mauer festklammerte. Das Wesen zischte und hangelte sich mit verstörend schnellen Bewegungen aus ihrem Blickfeld. Es floh!
Amber hob im Rennen eine lose Käfigstrebe als Waffe auf und stürzte zum Fensterbrett. Das Tier hangelte und wand sich an der Mauer entlang in Richtung Dach. Ein länglicher, schmaler Körper, biegsam wie ein Waran. Amber nahm das staubige Holz zwischen die Zähne und war mit einem Satz auf dem Fensterbrett. Der Geruch nach altem Stein und trockenem Holz stieg ihr in die Nase.
»Amber, nein!«, hörte sie Sabin rufen, doch schon war sie aus dem Fenster geklettert.
Das Blut pochte heiß durch ihre Adern. Sie nahm alles mit doppelter Schärfe wahr – das Zischen des Wesens, das Kratzen von Krallen auf dem Stein, während es sich flink auf das Dach des Turms hochzog. Steine und Mörtelbrocken regneten auf sie herunter, während sie dem Angreifer folgte. Ein halbe Dachschindel schlug ihr beinahe das Holz zwischen den Zähnen weg, aber sie tastete sich unbeirrt weiter, fand Vorsprünge und Balken und zog sich schließlich auf das schräge Dach hoch.
Die Vögel, die auf der Dachspitze saßen, flatterten aufgeschreckt davon. Wind erhob sich so jäh, dass es sie fast das Gleichgewicht kostete.
Amber nahm das Holz in ihre bessere Schlaghand und horchte.
Das Wesen verharrte auf dem Dach, sie konnte es nicht sehen, nur eine schattige Bewegung erahnen, doch ein Zischen verriet, wo es war. Dann ertönte das Trappeln hinter ihr. Es waren mehrere! Instinktiv duckte sie sich zur Seite. Keinen Augenblick zu früh: Ein Luftzug traf ihr Ohr, als etwas dicht daran vorbeischnellte.
Amber wirbelte herum und schlug zu. Ein dumpfer Schlag ertönte, durch das Holz fühlte sie etwas brechen. Vielleicht eine Rippe oder ein Schädel? Einen Angreifer hatte sie also erwischt. Aber das Trappeln war immer noch da, umkreiste sie. Blitzartig holte sie mit der Strebe aus und brüllte, als wollte sie Martiskatzen einschüchtern. Wenn sie nur ein wenig mehr sehen könnte!
Ein Knacken unter ihrem Fuß spürte sie, noch bevor sie es hörte. Brach das Dach? Nach einem schrecklichen taumelnden Augenblick spürte sie plötzlich etwas Scharfes an ihrer Seite. Es streifte ihren Oberarm, Stoff riss, brennender Schmerz zuckte durch ihren Arm. Ein Zischen an ihrem Ohr und der Gestank nach Moder, dann rutschte sie aus und fiel. Schmerzhaft ratterten ihre Rippen über gebogene Dachschindeln, als wäre sie ein Laken in einem Waschzuber. Dann traten ihre Beine in Luft. Instinktiv krallte sie sich mit den Fingern fest – und hing am Dachrand. Unter sich hörte sie das Brausen des Meeres. Der Schreck schickte ihr heiße Wellen durch die Adern.
Krachen und Schleifen ertönte. Und dann walzte ein lappiger, ledriger Haufen über ihre armen, geschundenen Knöchel. Amber konnte gerade noch den Kopf einziehen. Das Wesen – vermutlich war es der Angreifer, den sie zur Strecke gebracht hatte – rutschte über die Dachkante und streifte im Fallen Ambers Rücken. Sie stöhnte auf. Der ranzige Geruch nach Moder und öliger Haut hüllte sie ein. Das Wesen gab einen wimmernden Laut von sich. Amber machte den Fehler und blickte dem dunklen Bündel hinterher. Aus dem Augenwinkel erkannte sie schemenhaft, wie das verletzte Wesen wie eine Lumpenpuppe fiel. Unter sich sah sie Sabins blasses Gesicht in der Dunkelheit leuchten.
»Amber! Hierher!«, schrie die Taucherin und hangelte nach ihrem Bein.
»Finger weg!«, keuchte Amber. Was auch immer sie da angriff, sie war noch lange nicht fertig damit!
Obwohl ihr Rücken schmerzte, spannte sie alle Muskeln an und stemmte sich hoch. Sie zog die Beine nach, kletterte zurück auf das Dach und packte eine der zerbrochenen Schindeln wie eine Waffe. Die Gestalten flohen.
Bevor Amber reagieren konnte, huschten sie zum Rand des Dachs – und sprangen! Amber war viel zu
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