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Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: blazon
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sich verlegen über den Ärmel.
    »Amber… ich weiß, Sabin hat sich nicht bei dir bedankt…«
    »Tja, dantarianische Höflichkeit«, gab Amber trocken zurück. Inu lächelte schief und wieder fiel ihr die kleine Narbe an seinem Mundwinkel auf. Sie stand ihm sehr gut und Amber senkte ertappt den Kopf, als sie bemerkte, dass sie seinen Mund anstarrte. »Also, wenigstens ich wollte mich bei dir bedanken«, sagte er.
    »Du bedankst dich für Sabin?«, spottete Amber. »Ich hoffe, sie weiß es zu schätzen, dass du ihr Diener bist.«
    Sein Lächeln verschwand, er biss sich auf die Unterlippe. Einen Augenblick dachte sie, sie wäre zu weit gegangen, doch zu ihrer Erleichterung drehte Inu sich nicht um und ging zum Strand zurück, sondern antwortete ihr.
    »Es ist nicht so, wie es aussieht«, meinte er. »Sabin und ich kennen uns, seit wir Kinder waren.«
    »Liebst du sie denn nicht?«
    Er lachte verwundert. »Natürlich! Auf eine andere Art als Tanijen sie liebt, wenn es das ist, was du wissen wolltest. Und nur aus diesem Grund habe ich mich bei dir bedankt. Weil ich es nicht ertragen könnte, dass ihr etwas zustößt.«
    Amber staunte. In Dantar konnte man Menschen lieben, ohne sich zu verpflichten und ohne zu besitzen? Der Gedanke gab ihr einen schmerzhaften Stich und sie beneidete Sabin mehr denn je darum, dass sie mit Freunden aufgewachsen war, während Ambers einziger Freund von jeher ihr Schlagstock war.
    »Sabin meinte, du wolltest… ihr eine Geschichte erzählen«, fuhr Inu fort. »Ich weiß, dass sie von den Bergen nichts hören will, aber ich… würde sehr gerne erfahren, worum es in der Geschichte geht.«
    Amber merkte, dass sie es nun war, die rot wurde. Sie konnte kaum verbergen, wie sehr sie sich über sein Interesse freute, trotzdem lächelte sie nicht. Verlegen räusperte sie sich.
    »Es ist keine besondere Geschichte. In den Bergen wird jedes Kind sie dir erzählen, kaum dass es sprechen kann: Als es in den Bergen noch keine Menschen gab, war das ganze Meerland dunkel. Die Erdfrau schlief unter einem schwarzen Himmel. Doch eines Tages kam ein Gast aus einem fernen Teil des Himmels und warf sein Licht auf die Ebene. Es war der Sonnenkönig. Die Erdfrau erwachte in seinem Licht und sah ihn aus blauen Seeaugen an. Sie ließ Bäume wachsen, die ihm zustrebten. Jeder Grashalm und jede Blume streckte sich nach dem Sonnenlicht. Sie schuf auch die Berge, um dem Sonnenkönig nahe zu sein. Und er verließ seinen Platz am Himmel und sank ihr entgegen. Jeden Abend, wenn der Sonnenkönig sich zur Erdfrau neigte, konnten sie sich umarmen. Und jeden Morgen wanderte er wieder hoch an den Himmel, um das Land zu wärmen. Die Kinder der Erdfrau und des Sonnenkönigs sind wir Menschen. Wir wachsen im Lächeln unseres Vaters auf und nähren uns von unserer Mutter. Und wenn wir sterben, kehren wir zurück in ihre Umarmung. Die Erde hält uns geborgen.«
    Bei den letzten Worten war ihre Stimme rau geworden und etwas Heißes, Schweres drückte wie ein Knoten in ihrem Bauch. Nie hätte sie gedacht, dass sie jemals Heimweh haben würde – Heimweh nach der Ziegenweide und dem Geruch der regenschweren Ackererde. Sie erschrak selbst darüber, dass sie vor Inu zu weinen begann, und wandte sich brüsk ab. Umso erschrockener war sie, als er an sie herantrat und die Arme um sie legte. Für einen Augenblick ließ sie sich auf die Berührung ein und schloss die Augen.
    »Das ist eine schöne Geschichte«, sagte Inu leise. »Verzeih mir, dass du meinetwegen auf diese Insel gekommen bist. Aber was immer Sabin auch sagen mag – es ist gut, dass du bei uns bist.«
    Nie hätte sie zugegeben, wie sehr sie sich über seine Worte freute. Doch ein Rest von Misstrauen blieb – sogar jetzt. Behutsam machte sie sich aus seiner Umarmung los und trat zur Seite.
    »Ja, ohne eine Holzfällerin wärt ihr verloren.«
    »Ohne Amber auch«, sagte er ernst.
    Aus irgendeinem Grund war es wichtiger als alles andere, seinem Blick auszuweichen, weiterzuarbeiten und sich Gedanken über den Mast zu machen. Mit einem Gefühl, als müsste sie sich vor etwas irritierend Fremdem, Verlockendem auf vertrautes Gebiet flüchten, wandte Amber sich rasch ab und maß den bauchigen Marjulastamm mit einem Blick ab.
    Sie konnte kaum glauben, dass es wirklich ein Marjulabaum war. Die einzige Blüte, die der Wind nicht abgerissen hatte, zitterte im Luftzug.
    Zwanzig Axthiebe, schätzte sie. Sie wog die Axt in den Händen, bis sie die richtige Balance gefunden hatte, und

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