Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sturmrufer

Die Sturmrufer

Titel: Die Sturmrufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: blazon
Vom Netzwerk:
denn er hatte auch Zeichnungen beigefügt – Windströmungen, Wolkenformationen und die Formeln, die Tanijen kannte, seit er bei den Navigatoren lernte.
    Vorsichtig schlug er das Notizbuch auf und musste enttäuscht feststellen, dass die Buchstaben so gut wie gar nicht mehr zu entziffern waren. Nur an wenigen Stellen ließen sich Sätze und Formeln rekonstruieren. Eine Zeichnung war deutlich: Sie zeigte eine Feder, hell, mit schwarzem Rand. Und dann war da auch die Skizze eines Vogels, erstaunlich genau und lebensnah. Studie von Lemar le Hay, entzifferte Tanijen die Spuren von dickeren Federstrichen. Er runzelte die Stirn und beugte sich noch tiefer über die die verwaschenen Buchstaben. Lemar le Hay. Und ein Schiffsname: Pallas . Die Worte brachten irgendwo in seinem Kopf etwas zum Klingen.
    »Diwen Taran Jadur«, las er laut. Sein Herz machte einen Satz, als er spürte, wie die Luft im Raum zu einem lebenden Wesen wurde. Die ganze Atmosphäre vibrierte vor alter, fast verloschener Magie. Die Vögel flatterten, ein Wind erhob sich. Die Fensterläden begannen sich zu bewegen, klappten zu und auf.
    Tanijen schloss die Augen und atmete durch.
    Die Worte des Kodex erschienen vor ihm: Nie allein. Nie ohne einen der Älteren.
    Beinahe war er versucht, das Notizbuch zuzuschlagen und wegzulegen, doch er zögerte. Sie war da! Verführerisch und nah, er brauchte sie nur zu berühren. Niemand würde es erfahren. Und die Galgen waren weit fort.
    Lautlos formte er ein Wort mit seinen Lippen und spürte wieder mit Genugtuung, wie die Welle von flüssigem Licht sich um ihn herum regte. Es war immer noch fremd, sie zu rufen, aber sie kam, wie immer in letzter Zeit, zuverlässig und folgsam, wenn auch verspielt und unberechenbar wie ein junger Hund. Er hatte Glück gehabt, dass sie ihm gehorcht hatte, als er das Wasser zu Händen formte und die Gruppe auf diese Weise davor bewahrte, vom Sog in die Tiefe gerissen zu werden. Einen Augenblick gab ihm der Gedanke an Sabin wieder einen Stich. Ihr nicht die Wahrheit sagen zu dürfen war das Schlimmste.
    Du wirst alles hinter dir lassen, sagte der Kodex. Das Alte lässt sich nie mit dem Neuen vereinen. Hier beginnst du etwas Neues. Und als Pfand lässt du das Alte zurück.
    Tanijen schüttelte den Kopf. Sabin würde er nicht zurücklassen. Niemals. Eines Tages würde er es ihr sagen können. Und sie würde es verstehen – wenn die Stürme Geschichte sein würden und die Navigatoren Helden.
    Er leckte sich über die Lippen und studierte die Worte noch einmal genauer. Dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen. Er würde die Magie nur begrüßen, nicht rufen.
    »Diwen Taran Jadur«, wiederholte er lauter. Die Vögel flatterten erschreckt davon. Ein Windstoß fegte durch das Zimmer und wirbelte alles durcheinander. Staub erhob sich und ließ Tanijen husten. Er steckte rasch das Buch ein, stürzte zum Galeriefenster und stemmte es gegen den Wind zu. Von einem Schrank löste sich ein staubiges Blatt und trudelte zu Boden. Im Halbdunkel des Zimmers konnte Tanijen die Zeichnung darauf kaum erkennen, trotzdem schlug sein Herz schneller. Der Traum von heute Nacht… die Zeichnungen.
    Er rollte das Papier hastig auf und rannte zurück zur Halle. Schon oben an der Treppe spürte er, dass sich etwas verändert hatte. Die Halle war nicht mehr leer. Die Luft flirrte und ließ die Farben kräftiger wirken. Ein Luftzug bewegte das Papier auf dem Tisch. Der Wind heulte um den Turm und auch das leise Wimmern einer Käfigtür drang durch die Wände.
    Tanijen warf Lemars Buch auf den Tisch und entrollte die Zeichnung. Wie er vermutet hatte, war es eine Karte. Auch sie trug Lemar le Hays Handschrift. Lemar hatte gern gezeichnet. Skizzen der Inselwelt, der Vögel, verschiedener Fischarten, sogar ein Grundriss der Burg war dabei. Tanijens Finger zitterten, während er die Umrisse der Insel nachfuhr. Endlich ein Anhaltspunkt! Er kniff die Augen zusammen und versuchte die Botschaft zu entschlüsseln. Hier lag die Lösung. Schließlich sah er sich die Wasserwirbel an, die Strömungen rund um die Insel. Und die Zeichnungen von Schiffen. Pallas. Uda. Endlich erinnerte er sich, woher er diese Namen kannte. Eine heißkalte Welle lief ihm über das Rückgrat. Das zerbrochene Bild setzte sich aus Hunderten von Splittern zusammen. Die verschollenen Schiffe!
    Mit zitternden Händen strich Tanijen die Karte glatt, schlug daneben das Buch auf und versenkte sich in Lemars Aufzeichnungen.
    Er war so konzentriert, dass er das

Weitere Kostenlose Bücher