Die Sturmrufer
auf. Dennoch hielt er den Gegenstand fest, der ihn verletzt hatte, und sank ein, zwei Herzschläge lang dem Grund entgegen. Erst als er sicher war, dass die Beute ihm gehörte, nur ihm, begann er zu schwimmen. Keuchend durchstieß er die Wasseroberfläche und paddelte unbeholfen zum Ufer, seine Hand eine einzige heiße Quelle von Schmerz. Mühsam stolperte er aus dem Wasser und warf sich in den Kies. Blut tränkte die weißen Steine. Inu öffnete die Hand und war glücklich wie noch nie in seinem Leben.
Der Dolch, das erkannte er sogar im schwachen Licht des Mondes, war aus einem Stück Koralle gemacht, sorgfältig bearbeitet, nur an einer Seite geschliffen. Die Form der Koralle war erhalten, die Klinge war gewellt, einen Teil des Griffs durchzog ein schmaler Silbergrat. Fasziniert drehte Inu den Dolch in seinen Händen und entdeckte, dass die Klinge ebenfalls mit Metall verstärkt war. Wie ein Aalstrich zog sich auf dem Rücken der Schneide ein schmales Band. Inu fand die Stelle, an der der Korallensplitter fehlte, und strich mit dem Finger andächtig über die schartige Wunde.
Willkommen, sagte der Dolch.
Inu lächelte. Zum ersten Mal hörte er die Stimme klar und deutlich. Irgendwo in seinem Inneren ermahnte ein vernünftigerer Seiler ihn, dass es falsch war, auf einen Dolch zu hören – vielleicht war diese Stimme gar nicht seine Einbildung, sondern sogar Magie. Aber dafür fühlte es sich viel zu richtig an.
Dann sagte der Dolch noch etwas, das Inu nicht verstand, denn da war eine andere Stimme, die ihn störte, und ein Trappeln auf dem Dach. Und natürlich das Heulen des Windes, denn die Vögel waren zurückgekehrt und flatterten aufgeregt dicht über ihm. Widerwillig hob er den Kopf und sah sich um. Amber.
Sie stand an der Tür und sah erschrocken und wütend zugleich aus. Sie rannte zu ihm heraus, so schnell, dass Inu den Dolch nur noch ganz knapp vor ihr verbergen konnte. Die Vögel kreisten über seinem Kopf wie ein Wirbelsturm aus Schneeflocken, die aufgewühlte Nachtluft war heiß und schwer und sog ihm den Atem aus dem Mund.
»Was machst du hier am Tümpel?«, schrie Amber ihm durch das Brausen des Windes ins Ohr. Besorgt musterte sie ihn, Mondlicht fing sich in ihrem rechten Auge.
Warum verberge ich den Dolch vor ihr?, fragte er sich, doch er brachte kein Wort heraus. Und der zweite Gedanke verunsicherte ihn noch mehr: Warum bin ich nicht in der Burg geblieben und habe sie vor den Träumen beschützt?
»Komm«, sagte sie und ergriff ihn am Handgelenk. »Komm zurück in die Halle!«
Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung am Ufer. Ein Auge glänzte auf – oder war es nur der Mondschimmer auf dem Wasser? Und er hätte schwören können, dass das Wasser sich bewegte.
Amber zögerte. »Da ist etwas«, murmelte sie. »Da sind Schatten am Ufer und auf der Mauer!«
Inus Mund war trocken. Instinktiv legte er seine Hand über den Dolch. Der Mond verschwand hinter den Wolken.
»Verdammt, Inu! Lauf!«, flüsterte ihm Amber erschrocken zu und zerrte an seinem Handgelenk wie an einem Maultierstrick. Gemeinsam stolperten sie über Steine vom Tümpel weg. Im Laufen sah Inu sich um. Im Wasser hörte er Wellenschlag und warnendes Zischen und am Ufer erahnte er schattige Gestalten. Soweit er in der Dunkelheit erkennen konnte, waren es vier. Sie standen nur da, als würden sie ihnen stumm nachblicken. Hallgespenster? Nein, diese hier hatten keine rot glühenden Augen.
Er erinnerte sich kaum, wie er wieder in die Halle gekommen war. Amber und Sabin verrammelten die Tür und Amber lehnte sich dagegen. Sabin war so blass, dass sie aussah wie ein Naj. Als sie Inus nasse Kleidung und seine blutende Hand sah, weiteten sich ihre Augen vor Schreck. Die Stimme des Dolchs verstummte.
»Es ist nichts«, stammelte Inu. »Ich… ich bin nur gestolpert und ins Wasser gefallen. Und als ich wieder aus dem Becken kletterte, habe mich an einem Stein verletzt.«
Sabins Umarmung nahm ihm die Luft. »Was wolltest du da draußen?«
»Vermutlich angeln«, kam Ambers trockene Antwort von der Tür. »Und damit hat er nicht nur die Sturmvögel aufgescheucht, sondern auch diese seltsamen Dachkriecher angelockt. Zumindest habe ich ihr Gezische gehört.«
»Da war eine Stimme«, sagte Inu. »Im Tümpel… und ich wollte nachsehen. Tanijen hat recht: Wir müssen herausfinden, was die Magier damals hier…«
Sabins Ohrfeige traf ihn mit voller Wucht. Amber schrie empört auf. Der Schmerz brachte ihn in die Wirklichkeit
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