Die Suche nach dem Regenbogen
hatte zwei Brüder auf dem Schiff. Ich kann es einfach nicht fassen –« Er schüttelte den Kopf, dann wandte er sich wieder zur Stalltür.
»Aber Master Ashford hat ganz gewiß keine Rüstung getragen.« Ich wollte ihn sehen, mit ihm reden. Merkwürdig, aber jetzt überfiel mich die Erinnerung an seinen breiten, in Wolle gekleideten Rücken. Er konnte nicht tot sein. Warum sollte ich um ihn trauern, wo wir doch nur frostige Worte gewechselt hatten?
»Warum ich? Warum wurde ich, der Sünder, der größte Sünder von uns allen, verschont? Warum mußte es mein armer Jimmy sein?« Der hohläugige Mann blickte immer geistesabwesender.
»Habt Ihr sie denn nicht schwimmen sehen?«
»Schwimmen? Kein Seemann kann schwimmen. Es bringt Unglück, einen Schwimmer an Bord zu haben. Warum wurde ich verschont. Habt Ihr eine Antwort, Mistress? Hat irgend jemand eine Antwort?«
»Gott kennt die Antworten. Es war Sein Wille.«
»Gott! Was nutzen mir Seine Antworten, wenn Er sie nicht laut äußert? Das sind überhaupt keine Antworten. Gott schweigt! Warum ist unsere Sünde so groß, daß Gott schweigen muß?«
Ich floh vor dem Mann und merkte, daß mir die Tränen übers Gesicht liefen, und während der Nacht verfolgten mich seine trübsinnigen Fragen. Ich setzte mich im Dunkeln auf, lauschte auf den Atem der Dienerinnen ringsum und dachte, wenn ich doch nur nicht für Toms Überfahrt bezahlt hätte, wenn ich doch nur nicht so selbstsüchtig, so dickköpfig und so stolz auf meine Schlauheit gewesen wäre. Und Robert Ashford. Wie seltsam, wie dumm. Was war das, was mir so zusetzte? Unsere Wege hatten sich kaum gekreuzt, und nun war er nicht mehr. Ist es möglich, daß es überall auf der Welt Menschen gibt, die sich vielleicht gut leiden möchten, sich aber nie begegnen? Oder wenn sie sich begegnen, dann sagen sie sich harte Worte statt freundlicher und finden daher nie heraus, was ihnen eigentlich bestimmt war. Wohin wandert die ganze verschwendete Liebe, wenn man sie durch Mißverständnisse, durch Angst verspielt? Wird sie irgendwo aufgehoben, all die Tränen um etwas, was man nie gekannt und gleichwohl verloren hat? Hör auf, Susanna, sagte ich zu mir. Deine Phantasie geht wieder einmal mit dir durch. Als er noch lebte, war er unausstehlich, und du hast ihn nicht einmal gemocht. Und jetzt, wo er tot ist, willst du ihn zu deiner verlorenen, tragischen Liebe hochstilisieren. Du bist gefühlsduselig, nicht vernünftig und noch viel weniger ehrlich. Das ist genauso dumm wie damals, als dir Master Dallet leid getan hat, weil er so seicht war, und dabei hättest du dir lieber selber leid tun sollen.
Und dann sah ich ihn vor meinem geistigen Auge, wie er versuchte, Tom nach Haus zu schicken. Ich hätte auf ihn hören sollen. Er hatte recht. Er hatte die Vorahnung, die den dem Untergang Geweihten gegeben ist. Er wollte Tom retten, aber es sollte nicht sein. Wie ein bekümmerter, mißbilligender Nachtgeist schien Master Ashford in dem Dunkel unter der Zimmerdecke zu schweben. Der Kummer zerriß mir schier das Herz.
Kapitel 15
I hr sagt, daß sie schön ist? Dann hat das Gemälde nicht gelogen?« Regen prasselte gegen die schmalen gotischen Fenster des Hôtel de la Gruthuse, der Residenz des Königs in Abbeville, die ungefähr fünfzig Meilen vom Hafen von Boulogne gelegen war. Dort wollte er seine neue Königin in aller Pracht empfangen. Hunderte von Soldaten, hohe Beamte, einflußreiche Prälaten und die edelsten Familien des Landes waren in die kleine Stadt eingefallen. Ihnen folgten Heerscharen von Köchen, Dienern, Musikanten, Fahnenmalern und Schreinern, die für die Lustzelte, Festmähler und Bälle zu ihrem Empfang zu sorgen hatten. Alles schwärmte jetzt durch die Säle, Küchen und Keller des großen Hauses. Gut vier Dutzend Höflinge warteten dem König auf, obwohl der Anlaß inoffiziell war.
»Euer Majestät, sie ist schön wie ein Engel«, sagte Kardinal d'Amboise und beugte sich ein wenig zum König, der auf einem großen, gepolsterten Stuhl saß und den Gichtfuß auf einen Schemel stützte. »Monsieur de Vendôme war mit mir am Kai, um sie zu begrüßen. Er wird meine Worte bestätigen.«
»Ein Paradies«, sagte der Duc de Vendôme. »Worte werden ihrer Schönheit nicht gerecht.«
»Ja, ja, ein Wunder an Schönheit«, murmelten die Höflinge, von denen die meisten sie noch nie erblickt hatten.
»Wie ist es nur möglich, daß ausgerechnet England solch ein Wunder hervorgebracht hat«, sagte der König. »Diese…
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