Die Suche nach dem Regenbogen
Kinderzeiten ihre Erzieherin und jetzt ihre Oberhofmeisterin war. Und das ungerechnet all der Lakaien, die immer auf Trab waren, der Stalljungen und Diener, der Hofnarren und meiner Wenigkeit. Man kann sich unschwer vorstellen, wie jeder jederzeit über jeden stolperte, weil alle beweisen mußten, wie nahe sie der Königin standen, und daher stritten sie sich, wer an erster Stelle gehen durfte.
»Nein, nein, nein«, rief ein schlanker Priester. »Als erste in der Prozession hinter der Königin und ihren Pagen kommen die psalmodierenden Priester und Knaben, dann die Instrumente, dann die Trompeter, und die schwenken dann aus und stellen sich zu beiden Seiten des Saals neben der Estrade auf. Oh! Was wollt Ihr denn hier?«
»Sagt ihr, sie soll hier drinnen nicht niesen. Sie vergiftet die Luft.«
»Mutter Guildford möchte, daß ein Flötenspieler Mistress Boleyn zur Laute begleitet, während die Königin für das Bankett angekleidet wird.« Ich wischte mir schon wieder zierlich die Nase im Ärmel.
»Und einen Sänger?« Die Stimme des Schreibers klang kläglich.
»Nein danke, Mistress Boleyn und Mistress Gray singen sehr hübsch. Und Lady Guildford duldet nicht mehr Männer als nötig im Gemach der Königin.« Da gab es wieder einmal ein tüchtiges Gemurre und Geknurre, was für ein Drachen Mutter Guildford doch sei, und am Ende wählten sie einen aus ihrer Mitte. Der zog sich eilig seine Livree an und folgte mir die Wendeltreppe hinauf und die Flure entlang zu den Staatsgemächern.
Inmitten des ganzen Aufruhrs, der Drängelei und der Eifersüchteleien ging ich in den Gemächern der hohen Damen ein und aus, ohne daß sie mich richtig wahrnahmen, trug meinen Malkasten, wohin ich auch befohlen wurde, und Lady Guildford schenkte mir ihre Gunst, weil ich in England ein Bild von ihr gemalt hatte, auf dem sie ungemein vornehm und faltenlos aussah. Und wenn wir an einem verregneten Nachmittag spielten und musizierten, war ich auch da und vergnügte alle mit Skizzen von Gewändern und Gesichtern. Weil ich mich über den Verlust des armen Tom und Master Ashfords hinwegtrösten wollte, hatte ich mit einem kleinen Tafelbild von dem triumphalen Einzug der Königin in Abbeville begonnen, und alle Damen äußerten sich zu meinen Fortschritten und baten, ich möchte ihr Gesicht blasser und ihr Geschmeide größer malen. Wenn ich also die ganze Pracht malte – eine Welt, die schöner war als die wirkliche dann linderte das den Schmerz ein wenig. Das hölzerne Tafelbild war elegant und maß nicht mehr als drei Handspannen, und unsere Prinzessin, die jetzt als Königin von Frankreich angeredet wurde, saß im Mittelpunkt in ihrer Sänfte und strahlte wie die aufgehende Sonne.
Abgesehen von dem Flötenspieler und einem sehr alten Türsteher, waren die Frauen an diesem ruhigen Nachmittag unter sich, die Ehrenjungfrauen bürsteten der Königin das Haar und schnürten sie in ihr Staatsgewand für das Empfangsbankett und den Ball, der ihr zu Ehren vom Herzog und der Herzogin von Angoulême gegeben wurde. Zwei Damen öffneten ihre Schmuckschatulle, und zwei weitere säuberten ihren Umhang und ihre Schuhe. Trotzdem warteten noch viele darauf, ihr helfen zu dürfen, oder sangen schöne englische Lieder zum Klang von Laute und Flöte. Die Musik mutete in diesem überladenen fremdländischen Gemach seltsam an. Ich arbeitete in einer Ecke an einer Zeichnung von Mistress Boleyn mit der Laute, die sie ihrem Vater schicken wollte. Mutter Guildford hatte alles gelassen im Blick und sah hin und wieder mit Adleraugen von ihrem Stickrahmen auf.
Da wurde die Tür jählings aufgerissen. Alle fuhren herum und machten große Augen. Hinter der offenen Tür hörten wir Männer Französisch sprechen und lachen. Der bleiche Türsteher hatte kaum Zeit, den Herzog von Angoulême anzumelden, als auch schon mehrere stark angetrunkene Männer in das Gemach eindrangen. Den Hochgewachsenen in Damastschaube und purpurroter Kniehose, den erkannte ich von den Feierlichkeiten her. Herzog Franz, betrunken und schwankend und mit zurückgeschobener Schaube, so daß Schlitzwams und bestickte Schamkapsel zu sehen waren. Neben ihm ein dunkelhaariger Mann, den ich auch schon einmal gesehen hatte, und dahinter noch zwei, die mir ebenfalls bekannt vorkamen. Mutter Guildford legte ihren Stickrahmen beiseite, eilte zur Tür und vertrat ihnen den Weg.
»Monsieur, Ihre Majestät empfängt zu dieser Stunde niemanden. Sie ist für einen Besucher Eures Ranges nicht passend
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