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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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schönen Seidenhemd und samtener Kniehose, das prächtige Barett mit einem Diamanten und einer Reiherfeder geziert, hatte sein großes Vestibül bereits durchschritten, wo auf einem Tisch verschiedene Fleischkuchen und Käsesorten und eine große Karaffe Wein aufgedeckt waren. Belphagor überprüfte alles. Der Wein halb ausgetrunken. Gut. In seinem Arbeitszimmer kaute Nicholas noch immer mit vollen Backen, saß in Belphagors großem Ohrensessel neben dem Feuer und prostete sich beim Lesen zu.
    »Oh, Lord Belphagor!« sagte er und sprang so jäh auf, daß ihm die Krumen vom Schoß rieselten. »Ich habe gerade ein wenig vorweg gelesen. Ein sehr interessantes Manuskript.«
    »Schon gut, mein Junge. Gebt mir nur meinen Sessel wieder. Höchst interessant, nicht wahr. Wenn Ihr mich fragt, der Mann ist ein Genie. Hat mich unendliche Mühe gekostet, einem seiner Freunde diese Abschrift zu entlocken. Man behauptet, dieses Buch könnte die Welt verändern. Ein Jammer, daß ich nicht lesen kann. Aber Ihr – ah, Ihr habt mir armem altem Herrn die Welt der Gelehrsamkeit erschlossen. Ich bin Euch ja so dankbar!« Nicholas verdrehte die Augen, doch das merkte Belphagor nicht, da er sich daran erfreute, wie gut er inzwischen die Kunst der glattzüngigen Rede beherrschte. »Und jetzt, mein lieber Junge, machen wir weiter, wo wir stehengeblieben sind…«
    »Wir sind hier: ›Wie man Städte oder Reiche regiert, die vor der Besetzung nach ihrem eigenen Gesetz gelebt haben.‹«
    »Ja, das war's. Lest weiter. Ich lerne die ganze Zeit dazu.«
    Und Nicholas las klar und bedächtig: »›Und wer auch immer Herrscher einer freien Stadt wird und sie nicht zerstört, der muß darauf gefaßt sein, daß sie ihn zerstört, denn im Namen der Freiheit und ihrer altehrwürdigen Sitten und Gebräuche, die weder durch das Vergehen von Zeit noch durch empfangene Vorteile in Vergessenheit geraten, findet sich stets ein Motiv für Rebellion.‹«
    »Ah, schlau. Ja, schlau. Man muß wissen, wann man zerstört, wann man bewahrt und welche Vorteile ein jeglicher Weg bietet. Dieser Kerl, dieser Machiavelli ist brillant. Was habe ich nicht schon von ihm gelernt! Ja. Ja. ›Der unbewaffnete Prophet scheitert.‹ Was haltet Ihr davon, Nicholas?«
    »Unser Herr Jesus Christus war unbewaffnet«, sagte der Theologiestudent. Aus Belphagors Ohren puffte ein Rauchwölkchen, er wahrte jedoch eine gelassene Miene.
    »Und er hat ein böses Ende genommen«, sagte der Dämon. »Schmerzensreich. Traurig. Keine Enkel, die ihm das Alter versüßten. Nichts, was sich ein Mensch aussuchen würde. Reichtum dahingegen…«
    »Seine Kirche bekehrt auf der ganzen Welt die Heiden, also hat der Unbewaffnete…«
    »Das war damals, jetzt ist heute«, sagte Belphagor hastig, denn Disputieren erschöpfte ihn.
    »Aber wenn etwas wahr ist, dann gilt es doch für alle Zeiten, nicht nur für eine gewisse Zeitspanne.«
    »Ihr ermüdet mich, junger Mann. Lest weiter.«
    Doch kaum war Nicholas bei dem Kapitel angelangt, wo es um die Herrschaft über neue Reiche ging, die man entweder durch Gewalt oder durch Vermögen erobert hatte, da klopfte einer der Unterteufel an die Tür des Arbeitszimmers.
    »Lord Belphagor, der Herzog von Bourbon bittet um eine Unterredung mit Euch«, sagte der Maure in Unterteufelsprache. Doch Belphagors Hirn arbeitete noch auf französisch.
    »Ah, der Steuermann! Herein mit ihm, herein! Lassen wir es für heute genug sein, Nicholas. Mein Diener wird Euch das Honorar für diese Woche geben. Er kann kein Französisch, also zeigt ihm nur Eure geöffnete Hand, das versteht er.«
    Der Herzog von Bourbon bedachte den klapperdürren jungen Mann mit einem hochfahrenden Blick, als er flotten Schrittes Belphagors Studierzimmer betrat, und Nicholas kam sich vor wie eine streunende Katze, die sich hinausschleicht. Draußen blieb er stehen. Der Tisch war noch immer gedeckt und der Wein erst zur Hälfte getrunken. Die beiden Mauren schwatzten mit wunderlichen, knurrenden Lauten, als hätten sie ihn nicht bemerkt. Nicholas überlegte, drehte seine Kapuze um, machte daraus eine große Tasche und füllte sie mit Fleischküchlein.
    Dann hielt er inne. Aus dem Studierzimmer drangen Stimmen, und da dieser Lord Belfagoro Nicholas sehr neugierig gemacht hatte, weil er so ganz anders als alle Italiener war, die Nicholas bislang kennengelernt hatte, blieb er stehen.
    Belphagor, der nie darauf achtete, ob Türen offen oder geschlossen waren, da er in der Regel hindurchwehte, hatte die

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