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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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zurückzukehren und dem Erzbischof sagen zu müssen, daß seine Verschwörer ein Haufen Wahnwitzige sind. Die Merowinger kehren nie zurück, was auch immer ihr Buch der Weissagungen vorhersagt.«
    »Ein Buch der Weissagungen? Wie das, um dessentwillen Crouch gemordet hat?«
    »Genau das. Ich kann mir kein Geheimnis vorstellen, das so groß wäre, daß es die Merowinger zurückbrächte. Der Mann hat sich umsonst bemüht, es sei denn, er will die Gruppe mit dem Buch erpressen. Wahnwitzige oder nicht, sie könnten alle wegen Hochverrats hingerichtet werden, wenn ihre Pläne dem König bekannt würden. Entweder das, oder Crouch ist inzwischen genauso verrückt wie sie. Merowinger, daß ich nicht lache! Ihre Zeit ist abgelaufen.«
    Zwei seltsame Diener in maurischer Tracht öffneten das Hoftor zu einem der Stadthäuser. Als sie das Tor nach innen schoben, hörte man auf dem Hof Pferde wiehern, dann trat jähes Schweigen ein. Mit halbem Auge erhaschte ich einen Blick auf einen gewaltigen Mann hoch zu Roß, gefolgt von einem Diener auf einem Klepper. Sie hatten angehalten und beobachteten uns. Ich zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht.
    »Seht Ihr«, flüsterte ich. »Wenn man vom Teufel spricht…«
    »Das ist Crouch, aber ich glaube nicht, daß er uns gesehen hat«, sagte Ashford, griff nach meinem Ellenbogen und schob mich eilig weiter. Wir tauchten in einem Gäßchen unter und machten einen Umweg zum Atelier, wo Nan schon mit einem heimelig brennenden Feuer auf uns wartete. Obschon wir keinen Menschen hinter uns gesehen hatten, wurde ich das ungute Gefühl nicht los, daß man uns gefolgt war.

    Die weihnachtliche Festzeit war gekommen und noch nicht ganz wieder gegangen. Wir hatten den ersten Tag des neuen Jahres. Schnee stäubte durch die graue Luft. Er begrub die schmutzigen Gassen von Paris unter Weiß, verfing sich in den Wasserspeiern der Kathedrale und wehte in den bräunlichgrauen Strom, der träge zwischen vereisten Ufern dahinfloß. Er fegte zwischen den schmalen Häusern des Pont au Change hindurch, daß jeder froh war, wenn er zu Haus bleiben konnte, und ließ die spitzen Türme von Les Tournelles verschwinden. Drinnen lag der König im Sterben.
    »Was hat er gesagt?« ging ein Summen durch die Schar der Höflinge, die draußen vor dem Sterbezimmer warteten, während man die bleiche Königin hinausbegleitete.
    »Er hat gesagt: ›Ich gebe Euch das beste Geschenk von allen, meinen Tod‹«, sagte jemand.
    »Nicht auszudenken!«
    »Endlich werden wir diese ekelhafte Engländerin los.«
    »Nicht, wenn sie schwanger ist.«
    »Die Frau des Dauphins soll in Hoffnung sein.«
    »Die Königin ist schwanger, habt Ihr schon gehört?«
    »Wirklich? Ich habe gehört, der König soll sie auf dem Sterbelager verflucht haben.«
    »Oh, da kommt der Dauphin.«
    »Wie ernst er aussieht.«
    »Was der König wohl sagt?«
    »Angenommen, er wird wieder gesund, was dann?«
    Drinnen im Schlafgemach lag der König mit grauem Gesicht und war so elend, daß er sich kaum noch auf seinem großen Bett bewegte. Ein heftiger Brechanfall hatte ihn überkommen und so geschwächt, daß man jede Hoffnung auf Genesung aufgegeben hatte. Die Priester hatten ihm die Sterbesakramente gespendet, doch die Ärzte ließen nicht ab in ihrem Bemühen. Jetzt traten sie zur Seite und gestatteten Franz, an das Bett des Sterbenden zu treten. Der hochgewachsene und kräftige Prinz mit der langen Nase kniete nieder, um die Worte des Sterbenden zu hören. Der König quälte sich in eine sitzende Haltung; zwei seiner Kammerherren hoben ihn an, und der König umarmte Franz. »Ich lasse zwei junge Töchter und eine Frau zurück; ich vertraue sie Eurer liebevollen Fürsorge an.«
    »Majestät, es gibt noch Hoffnung. Eure Ärzte versichern mir, daß Ihr schon bald genesen könnt.«
    »Unsinn, Unsinn. Ich weiß, daß ich sterbe.« Der Atem des Königs ging langsam, seine Stimme war schwach. Franz, der ihn noch immer in den Armen hielt, ließ ihn sacht in die Kissen zurückgleiten. »Ich vertraue meine Untertanen Eurer Obhut an«, flüsterte Ludwig XII. Franz spürte, wie das Fieber in den Knochen des alten Mannes wütete. Erleichterung und Ehrgeiz mischten sich mit dem Erschrecken darüber, wie rasch die Stunde schließlich doch geschlagen hatte, und Entsetzen, daß der Tod auch Könige nicht minder häßlich ankam. Franz saß noch stundenlang am Kopfende des königlichen Bettes und lauschte dem rasselnden Atem, und in seinem Kopf kämpften widerstreitende Gedanken.

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