Die Suche nach dem Regenbogen
Frankreichs, die ihr Eroberungsheer nach einer demütigenden Schlappe, in der ihr Sohn knapp der Gefangennahme entgangen war, gerade abgezogen hatten.
»Mit den Engländern, nicht den Spaniern, Mutter?«
»Der Papst hat die Verbindung mit der Tochter König Ferdinands verboten. Und da hat der englische König seine Schwester, die Witwe des schottischen Königs, als Friedensunterpfand angeboten. Sie paßt vom Alter her, und unfruchtbar ist sie auch nicht. Doch meine Kundschafter haben mir berichtet, daß sie ihm zu alt und zu fett ist. Ah, und ich habe aufgeatmet! Auf Frankreichs Thron darf keine Engländerin sitzen. Was für eine Geschmacklosigkeit! Begreift er denn nicht, was Gottes Wille in dieser Sache ist? Seine erste Frau war unfruchtbar; sein Sohn von der Erbin der Bretagne ist gestorben. Es ist Gottes Wille, daß unser François auf den Thron kommt. Doch nun hat der englische König erneut geschrieben und ihm seine jüngste Schwester angeboten, und das ist eine Versuchung für König Ludwig. Ich könnte schwören, daß der englische König zu jung und zu unerfahren ist, als daß ihm das eingefallen wäre; dazu reicht sein Verstand nicht, wenn ihn nicht ein Klügerer beriete. De Longueville hat mir von diesem Wolsey berichtet, diesem hinterlistigen Priester, der ihm einflüstert. Die Frau, so sagt man, ist jung und gesund und wird den König gewiß überleben. Ich könnte schwören, der spitzfindige Priester plant, eine Engländerin zur Regentin Frankreichs zu machen. Doch das wird nicht geschehen, nur über meine Leiche. Öffne mir das hier, Marguerite, und hilf mir mit deinem Urteil; nimmt der König das Angebot nun an, oder tut er es nicht?«
Marguerite durchtrennte die Fäden mit dem kleinen silbernen Federmesser, das auf dem Schreibtisch ihrer Mutter lag. Sie streckte ihr den Brief hin, doch in ihren klugen Augen blitzte es neugierig auf, als sie die runde versiegelte Schatulle erblickte, die dem Brief beigefügt war. Sie war zwei Jahre älter als ihr Bruder und François so ergeben wie ihre Mutter. Ihre Kindheit und Jugend waren von dem verzweifelten Bemühen ihrer Mutter geprägt gewesen, ihn den Händen ehrgeiziger Edelleute zu entreißen, die ihn fern von ihr aufziehen wollten. Während Louise um den Erben kämpfte, hatte Marguerite an seiner Erziehung teilgenommen, Schach mit ihm gespielt und sich in seinem Freundeskreis an geistreichen Unterhaltungen zu beteiligt.
Wer sie damals zusammen sah, dem fiel vor allem auf, wie ähnlich sich Bruder und Schwester waren: kastanienbraunes Haar, lange Nasen, aristokratische Gesichter, die nur aufgrund des humorvollen und klugen Blicks der bernsteinfarbenen Augen nicht häßlich wirkten. Doch im Laufe der Jahre hatten sie getrennte Wege eingeschlagen; François war Soldat und Genußmensch geworden, während sich die zweiundzwanzigjährige Marguerite mit einem nicht zu ihr passenden Ehemann langweilte und alle Träume von ritterlicher Liebe begraben hatte. Sie war eine Schirmherrin der Künste geworden, sammelte witzige Geschichten und richtete Abendgesellschaften aus, bei denen gelehrt disputiert wurde. Als Beistand diente ihr zunehmend eine mystische Beziehung zu Gott. Louise war auch gottesfürchtig, doch ihr Gott hatte nichts wolkig Verschwommenes wie der von Marguerite. Eher hielt sie Ihn für einen himmlischen Ladenbesitzer und erwartete, daß Er auf Bestellung lieferte, was sie Ihm in gerechter Münze bezahlte. Dadurch war Louises Welt viel einfacher als die ihrer Tochter, aber es war ausgerechnet das differenzierte Urteil, das sie an ihrer Tochter am meisten schätzte, auch wenn sie es überhaupt nicht verstand.
»Der Brief hier, nutzlos«, verkündete die Mutter. »Eine oberflächliche Beschreibung, die auf hundert Mädchen passen könnte, und eine alberne Gespenstergeschichte. Zumindest hat er eine Kopie des Porträts gesandt, das an den König gegangen ist. De Longueville ist ein abergläubischer Trottel. Nutzlos. Hoffnungslos. Ich will alles über die Mitgift, die Bedingungen wissen. Ist das die Frau, die auf Frankreichs Thron sitzen wird?«
Doch in Marguerites Augen blitzte es beim Anblick des Bildnisses in der kleinen Schatulle auf. »Mutter, seht Euch das an. Der hier kann es mit Fouquet aufnehmen. Fürwahr, die Pinselstriche sind unsichtbar!« Louise reichte ihrer Tochter den Brief und nahm ihr das kleine Behältnis mit dem Porträt ab. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. In der goldenen Sonne Frankreichs leuchteten die Farben noch satter.
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