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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Kirchenfürscht. Aber welchen? O ja, den fetten. Du hascht ja keine Ahnung, wieviel Ärger unsch die Kirche macht. Wasch war dasch? O ja, ich musch losch…« Hadriel schwankte ein wenig beim Aufstehen.
    »Schon so bald? Aber Ihr könnt doch des Nachts nicht nach draußen gehen. Strauchdiebe könnten Euch überfallen!«
    »Dasch kümmert mich nicht. Nichtsch zu schtehlen…« Hadriel strebte der Küchentür zu und stützte sich dabei an der Wand ab.
    »Ich lasse einfach nicht zu, daß Ihr so nach draußen geht!«
    »So? Wasch meint Ihr…?«
    »Seht doch nur Eure Füße! Ihr habt ja nicht einmal Schuhe an!«
    »Wasch soll am Barfuschgehen verkehrt sein? Ich trage nie Schuhe.«
    »Aber Ihr könntet Euch doch draußen im Dunkeln die Füße stoßen! Cat, geh in mein Zimmer, schau in der großen Truhe nach, in der ich Vaters Sachen aufhebe, und bring ihm das Paar Schuhe, das da noch ist.«
    »Mutter! Vaters Sachen?«
    »Cat, meine liebe Catkin, ich habe sie schon viel zu lange aufgehoben. Seine Schuhe machen ihn auch nicht wieder lebendig, und dieser arme Junge hat von seiner Mutter keine bekommen.« Damit warf sie Hadriel die Arme um den Hals und weinte an seiner Schulter. »Ach, hätte mir Gott doch so einen Sohn geschenkt! Mein lieber, armer Junge, so hübsch, und nichts zu essen und keine Mutter! Laßt mich – schnief – Eure zweite Mutter sein…« Hadriel sah ungemein betreten aus, er war ganz rot im Gesicht, doch dann tätschelte er sie unbeholfen.
    »Tschuldigung«, sagte er leise. »Habe keinen groschen Segen zu vergeben – Segen – blosch die kleinen – die Künschte, na ja, ischt nicht viel…«
    Die Schuhe wirkten an seinen zarten Füßen seltsam klobig, und als ich ihn mit den Schnürbändern kämpfen sah, ging mir auf, daß er noch nie im Leben Schuhe gehabt hatte, was angesichts seiner schönen und blassen Füße merkwürdig war. Ich dachte ein Weilchen darüber nach, und dann dachte ich darüber nach, wie er selbst im Haus den Umhang nicht abgelegt und wie er mir die Treppe hinuntergeholfen hatte. Da war nur ein Schluß möglich. Und als er in die Dunkelheit hinausstolperte, war ich mir sicher.
    »Seht mal, Master Hadriel hat einen Gänsekiel aus seinem Federkasten vergessen. Oh, warum hast du denn die Fensterläden aufgemacht?« hörte ich Nans Stimme in meinem Rücken. Aber ich beugte mich über die Fensterbank und drehte mich nicht um. Und mein Blick folgte dem strahlenden Zickzackkurs eines beschwipsten Engels, der sich in den nächtlichen Himmel schwang.

    So furchtbar war der Zorn des Königs, daß die schwere Eichentäfelung an den Wänden beim Klang seiner Stimme zu erzittern schien.
    »Ich sage dir, er hat mich verraten! Und täusche dich nicht, Schwester, dich hat er auch verraten.« Heinrich VIII. im seidenen, mit Goldstoff unterlegten und mit Goldfäden und Perlen bestickten blauen Schlitzwams durchmaß den Raum mit dem wiegenden, kraftvollen Schritt eines wütenden Bullen. Er war noch jung, hochgewachsen und kräftig, und er trug das rötlichblonde Haar über den Ohren kurz geschnitten. Ihm schwollen die Adern an dem muskulösen Hals. Seine Augen waren vor Wut nur noch Schlitze.
    »Aber hat er nicht gesagt, er wäre zu krank, um mich zu empfangen, und habe ich ihm nicht geschrieben und ihn Ehegemahl genannt, und hat er mir nicht als Zeichen seiner Gunst Geschmeide geschickt?« Sein Zorn versetzte Mary Tudor in Angst und Schrecken, sie, die so viele Jahre der Augapfel ihres Bruders gewesen war, sein Spielzeug. Niemand hatte fröhlicher an seinen Maskeraden teilgenommen, zu seiner Begleitung auf dem Virginal gesungen, seine Freunde empfangen und unterhalten. Und nun jählings dieses Unwetter. Ihr Herr und Bruder war gekommen, ihr mitzuteilen, daß ihre seit Kinderzeiten abgesprochene Ehe nicht länger gültig war.
    »Seine Tante, diese durchtriebene Hexe, die in den Niederlanden regiert, hat ihn überredet, mich hinzuhalten, bis der Hieb gefallen war. Hinter meinem Rücken ein Geheimabkommen zu unterzeichnen! Der Kaiser hat von Anfang an ein falsches Spiel mit mir gespielt. Und ich sage dir, Schwester, mit diesem elenden Wicht bist du nicht mehr verlobt. Soll sich Prinz Karl von Kastilien doch eine andere Braut suchen!«
    »Aber – aber mein Geschmeide, meine Aussteuer im flämischen Stil, mein Brautsilber… und ist die Ehe nicht durch Stellvertreter vollzogen worden? Und geküßt hat er mich auch, daß weiß ich genau. Es ist eine Sünde, ich habe Angst.« Marys Augen huschten hin und

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