Die Suche nach dem Regenbogen
der französische Künstler.
»Ein schlichter, provinzieller Stil«, sagte Cavendish.
»Ja, englischer Stil«, setzte Ashford hinzu. »Ihr müßt doch zugeben, daß er auf eine gewisse naive Art amüsant ist.« Da er den Franzosen ködern wollte, hatte er ganz vergessen, daß der Stil der bösen, ehemännermordenden kleinen Malerin insgeheim etwas Giftiges hatte.
»Dieser Stil wurde in Frankreich entwickelt. Unser Fouquet…«
»Der französische Stil hat sich auf die Illumination von Manuskripten beschränkt«, bemerkte Ashford. »Sagt, Cavendish, ist Euch auch schon aufgefallen, daß die Porträts in französischen Manuskripten immer gleich aussehen?«
»Ja, merkwürdig, das ist mir auch aufgefallen. Alle sehen sie wie Fische aus«, erwiderte Cavendish.
»Es zeugt nicht von Originalität, das Porträt von der Manuskriptseite zu trennen«, rutschte es dem Franzosen heraus.
»Und die Technik ist auch neu. Hättet Ihr gern ein Vergrößerungsglas, damit Ihr die Farbabstufungen betrachten könnt? Die Pinselstriche sind mit ungeübtem Auge nicht zu sehen.« Ashford sah den kleinen Franzosen hämisch an, während Cavendish ihm ein Vergrößerungsglas reichte. Was für ein Jammer, daß ich ihn nicht Mistress Dallet vorstellen kann, dachte Ashford. Die würde ihn mit Haut und Haaren verspeisen und die Knochen ausspucken. Und dann malte er sich aus, wie sie ganz in Schwarz an Perréals Beerdigung teilnahm, wie sie sich die Augen betupfte, nachdem sie seinen Tod so kunstvoll bewerkstelligt hatte. So bezaubernd, so anziehend, so todbringend. Und doch klopfte ihm bei dem Gedanken an sie das Herz, so kunstgerecht hatte sie ihn in ihrem Netz gefangen. Frauen.
»Der Hintergrund«, half Cavendish nach. »Das Blau ist recht originell. Ein Geheimverfahren. Findet Ihr nicht, daß es das Inkarnat gut hervorhebt?«
Es war jedoch nicht das Sujet der Gemälde und nicht ihre Technik, mochte sie noch so blendend sein, was den Franzosen verstört hatte. Das Geheimnis des heiteren blauen Himmels würde er daheim in seinem alchimistischen Laboratorium lüften. Nein, was ihn so verstörte, war die Abbildung der Gesichter. Es gab da einen Kniff – wie sich beispielsweise eine Braue wölbte, wie das Licht auf die Pupille fiel –, der zeugte von dem unbekannten Meister von Evas Versuchung , denn der mußte auch der Maler dieser erlesenen kleinen Porträts sein, die er gerade aus der Schublade geholt hatte. Perréal, der Künstler und Bildhauer, der auch die Bildnisse für Hochzeitsbehänge und Grabmäler entwarf, war zudem Alchimist. Und darüber hinaus war er Mitglied eines internationalen Geheimbundes von Alchimisten, Künstlern, Architekten, Mystikern, Kavalieren und Phantasten, der seit Kreuzritterzeiten existierte: die Abtei von Sion, die Mutterorganisation der Tempelritter, doch durch die Spaltung der Eiche davon abgetrennt. Geduldig hatte die Abtei, die Hüterin des größten Geheimnisses der Christenheit, seit Jahrhunderten auf den geeigneten Zeitpunkt gewartet, dieses Geheimnis zu offenbaren. Dann würde sich die Weissagung erfüllen: Die wahre Dynastie würde wieder auf dem Thron Frankreichs sitzen und damit die Verwandlung der Welt vollenden. Und im Vorgriff auf diese Zeit hatten sie ganz Europa mit seltsamen Gegenständen überzogen, die von ihrem künftigen Sieg kündeten: Steine wie Grabmarkierungen mit geheimnisvollen Inschriften, geheime Zeichen und Codewörter, die sich in Akrostichen, Gedichten, Gemälden, Landkarten und Weissagungen verbargen. Die Urchristen hatten ihre Versammlungsorte mit einem Fisch gekennzeichnet, die Abtei stand dem nicht nach, obschon ihre Zeichensprache nicht ganz so wäßrig war.
Während er das Bild anstarrte, sah er Zeichen, die anderen entgangen waren. Irgendwo in London gab es einen Mann, der entdeckt hatte, was die uralte Geheimgesellschaft schon so lange verbarg. Und jetzt machte sich dieser Mann quer durch Europa über sie lustig, indem er immer wieder das gleiche Geheimnis malte. Was wollte er damit sagen? Warum tat er das? Welcher Geheimzirkel trieb ihn dazu? Feinde. Ja, es mußte der Feind sein. Ein Bild hatte er in Paris gesehen, Maître Bellier hatte es mitgebracht, und angeblich war es alt. Und hier fand er das nächste, mitten im Lager des Feindes. Es mußte sich um eine Verschwörung handeln. Warum zeigten sie ihm das? Wolsey, dieser listige Kirchenfürst, mußte geheime Gründe dafür haben. Er hatte das Geheimnis. Die Kirche war der mächtigste Feind des Geheimnisses. Es
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