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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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schätzen lernte, das Land ebenfalls verlassen und mehrere Jahre in Frankreich verbracht.
    »Hätte sie dich denn nicht mitnehmen können?«, stellte Percy die quälende Frage, die sich auch Grey damals gestellt hatte, ohne sie jedoch auszusprechen.
    »Ich glaube«, sagte er vorsichtig, »dass sie davon ausging, dass ihr eigenes Leben ebenfalls in Gefahr war.«
    Er glaubte sogar - auch wenn ihm dieser Gedanke erst sehr viel später gekommen war -, dass sie mit dieser Gefahr kokettiert hatte.
    »Kokettiert?«, wiederholte Percy überrascht. »Was meinst du damit?«
    Grey seufzte und rieb sich mit zwei Fingern die Stirn. Es war unerwartet erleichternd und sogar schön, endlich über all das zu reden. Allerdings wurde dies auf der anderen Seite durch die ebenso unerwartete Qual wieder aufgewogen, die es mit sich brachte, all diese Ereignisse noch einmal zu durchleben.
    »Aberdeen ist eine graue Stadt.« Grey saß jetzt im Bett, hatte die Arme um die Knie gelegt und sah zu, wie sich die letzten Spuren der Nacht von den Dächern der Stadt verflüchtigten. »Stein. Regen. Und Schotten. Diese verdammten Schotten.« Er erinnerte sich kopfschüttelnd an den Klang ihrer Stimmen, wie Kutschräder, die über einen Kiesweg poltern.
    »Ich habe nicht viel gehört. Skandale in London …« Er zuckte mit den Achseln. »Interessieren in Aberdeen niemanden. Das war wahrscheinlich genau der Sinn der Sache; mich von jedem Gerede abzuschirmen. Die Verwandten meiner Mutter waren ja liebenswürdig, aber auch sehr… distanziert. Trotzdem habe ich das eine oder andere mitbekommen.«
    Die Herzogin - oder die Gräfin, wie sie sich inzwischen nannte - hatte anscheinend in Frankreich sehr auffällig gelebt, was ihre Verwandten aus den schottischen Lowlands murmelnd missbilligten. Sie war zwar nicht mehr jung, aber sie war immer noch eine schöne - und reiche - Frau.

    »Es gab Gerüchte, dass sie Kontakte zu einigen der französischen Jakobiten pflegte. Wenn es jedoch eines gibt, das ich mit Sicherheit sagen kann, so ist es, dass meine Mutter keinerlei Sympathien für deren Sache gehegt hat - oder hegt.«
    »Du glaubst, dass sie auf der Suche nach dem Mann gewesen ist, der deinen Vater umgebracht hat.«
    Grey nickte. Er blickte zum Fenster hinaus, sah aber nicht den sich lichtenden Himmel über London, sondern die grauen Regenwolken Aberdeens.
    »Ich weiß nicht, ob sie ihn gefunden hat«, sagte er leise. »Aber nach einer Weile habe ich es mir einfach eingeredet. Dass sie ihn ihrerseits umgebracht hatte - oder auf andere Weise für seine Vernichtung gesorgt hatte.«
    Percy zog ungläubig die Augenbraue hoch.
    »Du glaubst - oder hast geglaubt -, deine Mutter hätte ihn umgebracht?«
    »Du glaubst, Frauen sind zu so etwas nicht imstande?« Grey lachte zwar nicht geradeheraus, doch er wandte den Kopf so, dass Percy sein schwaches Lächeln sehen konnte.
    »Nein, im Allgemeinen nicht. Meine Mutter hätte es mit Sicherheit nie …« Percy verstummte stirnrunzelnd - offenbar versuchte er gerade, sich Benedicta Grey bei einem Mord vorzustellen. »Wie denn? Mit Gift?«
    »Ich weiß es nicht. Meine Mutter ist ziemlich direkt. Ein Stich ins Herz wäre bei ihr wahrscheinlicher. Aber ich glaube eigentlich nicht, dass sie den Mann gefunden hat - falls sie wirklich nach ihm gesucht hat. Ich habe es mir … eingeredet.« Er tat die Erinnerung mit einem Achselzucken ab. »Was ist aus deinem Vater geworden?«, fragte er neugierig.
    Percy schüttelte den Kopf, akzeptierte aber, dass das Thema gewechselt wurde, und sein Gesicht nahm einen ironischen Ausdruck an.
    »Ob du es glaubst oder nicht, er ist von einer Postkutsche überfahren worden.«
    »Esel!«
    »Nein, ich meine es ernst, so war es.« Percy zuckte hilflos mit
den Achseln. »Er stand vor einem Wirtshaus in Cheltenham und hat aus vollem Halse gepredigt, ohne auf seine Umgebung zu achten. Wir haben die Kutsche kommen gehört -«
    »Du warst dabei ?«
    »Ja, natürlich. Er hat mich immer mitgenommen, um Traktate zu verteilen oder mit dem Hut herumzugehen, wenn er in der Öffentlichkeit gepredigt hat. Jedenfalls habe ich an seinem Rock gezogen - ich konnte die Kutsche schon sehen und auch, wie schnell sie sich näherte -, und er hat mich beiseitegeschubst, geistesabwesend, weißt du, so wie man eine Fliege verscheucht, zu sehr in seine Vision des Himmels vertieft, um irgendetwas auf Erden zu bemerken. Er ist einen Schritt vorgetreten, um seine Ruhe vor mir zu haben. Dann war sie da, und ich bin

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