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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Zwielicht.
    »Sind Freundschaft und echte Zuneigung denn nicht genug für dich?« Grey achtete darauf, seinen Ton von jeder Empfindlichkeit und jedem Vorwurf frei zu halten und seine Frage aufrichtig zu stellen. Percy hörte es und lächelte gezwungen, jedoch ebenso aufrichtig.
    »Nein.« Er streckte die Hand aus und fuhr Grey über den nackten Arm, über Schulter und Brust, wo er ihm die Handfläche
flach auf die Brustwarze legte - und ihm dann plötzlich die Finger fest in den Muskel grub.
    »Aber wenn das noch dazukommt …«, sagte er leise, »reicht es, glaube ich, aus.«
     
    Tagsüber sahen sie nicht viel voneinander, da Grey mit den zunehmend hektischen Vorbereitungen für ihre Abreise beschäftigt war und Percy von den Anstrengungen seiner eigenen Ausbildung und den Bedürfnissen der vier Kompanien unter seinem Kommando beansprucht wurde. Abends allerdings konnten sie ganz offen miteinander ausgehen, wie es zwei befreundete Männer nun einmal taten - zum Abendessen, ins Theater oder zum Kartenspiel in einen Club. Und wenn sie diese Etablissements auch gemeinsam verließen, verlor niemand ein Wort darüber.
    Weder die Gräfin noch Tom Byrd stellten Greys gelegentliche nächtliche Abwesenheit in Frage, denn er schlief oft in der Kaserne oder im Beefsteak, wenn es durch seine Aufgaben beim Regiment spät geworden war oder er mit Freunden unterwegs gewesen war. Jede Nacht fortzubleiben, hätte jedoch Aufmerksamkeit erregt, und so waren die Nächte, die sie gemeinsam in Percys Unterkunft verbrachten, doppelt kostbar - weil sie so rar waren, und weil ihnen klar war, dass sie gezählt waren.
    »Wir müssen uns extrem vorsehen«, sagte Grey. »Im Feld. Dort gibt es nur wenig Privatsphäre.«
    »Natürlich«, sagte Percy, doch angesichts dessen, womit er gerade beschäftigt war, hatte Grey nicht das Gefühl, dass er besonders genau zuhörte. Er schlang seine Finger in Percys Haar, brachte ihn jedoch nicht zum Aufhören. Später war noch Zeit genug, seine Warnung zu wiederholen - und er brannte genauso wenig wie Percy darauf, über die unausweichliche Unterbrechung ihrer Intimität nachzudenken.
    Eine Intimität, die über das Körperliche hinausging - auch wenn das schon weiß Gott intim genug war.
    Percy hatte sein Angebot in der ersten Nacht angenommen und am nächsten Morgen. Dabei war er mit größter Sanftheit
vorgegangen - einer Sanftheit, die ihn ebenso aus der Fassung brachte wie sie ihn fast zu Tränen rührte.
    Er hatte dieses Angebot nicht wiederholt, denn das Erlebnis hatte ihn kaum weniger verstört als die längst vergangene Vergewaltigung, wenn auch auf ganz andere - zugegebenermaßen angenehmere - Weise. Percy drängte ihn nie, bat ihn nie, signalisierte ihm nur, dass er, falls Grey es wünschte … Vielleicht würde er es ja noch einmal tun. Aber noch nicht.
    Die unerwartete Intimität ihrer Gedanken war genauso berauschend - und hin und wieder bestürzend - wie die ihrer Körper.
    Percy hatte Grey nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht nicht mehr direkt auf die Ermordung des Herzogs angesprochen. Doch er wusste, dass sein Freund darüber nachdenken musste, und daher überraschte es ihn nicht, als Percy einige Tage später noch einmal darauf zu sprechen kam. Es freute ihn zwar nicht - nicht, dass er bedauerte, Percy die Wahrheit erzählt zu haben. Doch er war über sich selbst überrascht, überrascht, es getan zu haben, nachdem er das Geheimnis so lange bewahrt hatte. Und die Tatsache, dass das Geheimnis, das er so lange gehütet hatte, nun von einem anderen geteilt wurde, erfüllte ihn mit leiser Beklommenheit - doch es überraschte ihn eben auch nicht.
    »Was ist danach geschehen?«, wollte Percy wissen. »Was hast du getan? Hast du es niemandem erzählt? Deiner Mutter?«
    Grey spürte einen Stich der Verärgerung, begriff aber gerade noch rechtzeitig, dass nicht Percys Frage der Grund dafür war, sondern die Erinnerung an seine eigene Hilflosigkeit.
    »Ich war zwölf Jahre alt«, sagte er. Percy sah ihn scharf an und wich ein wenig zurück, weil er trotz seiner äußerlichen Ruhe den gereizten Unterton spürte. »Ich habe nichts gesagt.«
    Der Gärtner hatte die Leiche des Herzogs später am Morgen gefunden. Ein hastig zusammengerufenes Untersuchungsgericht hatte auf Tod im Zustand geistiger Umnachtung befunden, und zwei Tage später hatte man Grey in den Norden geschickt,
zu entfernten Verwandten seiner Mutter in Aberdeen. Die Herzogin hatte in weiser Voraussicht, die er erst Jahre später zu

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