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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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hinauswollte.
    »Dann war es also nicht seine Angewohnheit, im Wintergarten Tagebuch zu schreiben?« Percy konnte Greys Gedankengänge in seinem Gesicht verfolgen, und auch sein Gesicht leuchtete vor zögerlicher Erregung.
    »Nein, niemals.« Grey nahm sich ein paar Sekunden Zeit zum Atmen. »Der Wintergarten war nicht beleuchtet, außer, wenn wir einen Empfang gaben. Er hat regelmäßig in der Bibliothek Tagebuch geschrieben, bevor er zur Ruhe gegangen ist - und hat das Tagebuch dort ins Regal zurückgestellt. Auf Feldzügen hat er auch geschrieben - aber ansonsten, nein. Ich habe ihn nie anderswo in sein Tagebuch schreiben gesehen.«

    Was zwei Dinge bedeutete: Wer auch immer seinen Vater erschossen hatte, hatte ihn so gut gekannt, dass er wusste, dass dieser ein Tagebuch führte und wo er es aufbewahrte. Und wer auch immer es getan hatte, war dem Haushalt so gut bekannt, dass es ihm möglich gewesen war, die Bibliothek zu betreten und das Tagebuch zu stehlen.
    »Glaubst du, er hat es … vorher gestohlen?«, fragte Percy. »Meinst du, das ist vielleicht der Grund? Dass der Mörder das Tagebuch gelesen hat, gesehen hat, dass er enttarnt war - oder im Begriff stand, enttarnt zu werden - und so -«
    Grey rieb sich das Gesicht und spürte seine kratzenden Bartstoppeln, doch er schüttelte den Kopf.
    »Selbst wenn ich davon ausgehe, dass mein Vater so töricht war, solche Vermutungen unverschlüsselt niederzuschreiben - und ich versichere dir, das war er nicht -, wie könnte es jemand gelesen haben? Niemand hat je einen Blick in seine Tagebücher geworfen - nicht einmal meine Mutter; sie hat ihn höchstens damit aufgezogen -, und er hat sie nicht herumliegen lassen.«
    Unruhig geworden, stieg er aus dem Bett und trat ans Fenster, während er versuchte, sich zu erinnern. Er versuchte, sich die Bibliothek vor sein inneres Auge zu führen. Dass sie sie als »Bibliothek« bezeichneten, war eher ein Scherz; es war eine winzige, mit Büchern gesäumte Kammer, die nicht einmal einen Kamin hatte und in der gerade eben Platz für einen Stuhl und einen kleinen Schreibtisch war. Nicht die Art von Zimmer, in der sein Vater Besuch empfangen hätte.
    »Ich halte es für wahrscheinlicher, dass der Mann das Tagebuch nach dem Mord gestohlen hat.« Percy rieb sich geistesabwesend die Schultern, denn er fror trotz seines wollenen Morgenrocks. »Bei einem Beileidsbesuch? Hätte das nicht die Gelegenheit sein können, es zu stehlen?«
    Grey kämpfte mit dieser Vorstellung. Er durchlebte die grauenvollen Tage nach dem Tod seines Vaters nur ungern erneut, war jedoch gezwungen, sie sich ins Gedächtnis zu rufen. Die stillen, gehetzten Vorbereitungen, die leisen Gespräche, die stets abgebrochen wurden, wenn er in Sicht kam.

    Sie hatten einige Besucher gehabt, Freunde, die die Herzogin in ihrem Schmerz stützen wollten, und einige von Hals besten Freunden - Harry. Harry Quarry hatte sie besucht, das wusste er noch. Wer noch? Robert Walpole natürlich. Er erinnerte sich noch, wie der Premier langsam über den Weg gehumpelt war, mühsam und mit grauem Gesicht, auf seinen Sekretär gestützt, während auch ihm der nahende Tod deutlich ins Gesicht geschrieben stand.
    Er schloss die Augen, presste sich die Finger auf die Lider und versuchte zu denken. Gesichter huschten ihm durch den Kopf, manche mit Namen, manche Fremde, alle durch seinen damaligen Schock verzerrt. Abgesehen von Harry und Walpole waren die einzigen Menschen, an die er sich aus jener fürchterlichen Woche einigermaßen klar erinnern konnte -
    Er ließ die Hand sinken und öffnete die Augen.
    »Möglich, dass es ein Besucher gewesen ist«, sagte er.
    Percy blinzelte und spitzte die Lippen.
    »Ein Bediensteter?«, sagte er, und diese Vorstellung schien ihn zu schockieren. »Oh, nein.«
    Auch Grey wurde bei diesem Gedanken kalt ums Herz. Die Bediensteten waren alle schon seit Jahren im Haushalt seiner Eltern gewesen; sie genossen blindes Vertrauen. Zu vermuten, dass einer von ihnen, jemand, der mit der Familie unter einem Dach gewohnt und die Intimitäten ihres Alltags geteilt hatte, unterdessen …
    Er schüttelte die Vorstellung ab.
    »Ich kann nicht mehr denken«, sagte er. »Ich kann es nicht.« Müdigkeit legte sich schwer auf seine Schultern, und sein Nacken schmerzte vom Gewicht der Trauer und Wut in seinen Erinnerungen. Seine Augen brannten, und er lehnte die Stirn an die vereiste Fensterscheibe, deren frostiger Gegendruck ihm willkommen war.
    Es raschelte im Bett, und er

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