Die Sünde der Brüder
daher gedacht hatte, er sähe eine halbe Meile weiter oberhalb im Carryarick-Pass Rauch, hatte ihm Jenks versichert, dass es nicht so war.
»Es wäre möglich gewesen, dass er Recht hatte; es wurde schon dunkel, und ich war mir nicht sicher. Wir sind zum Lager zurückgekehrt. Aber es hat mir keine Ruhe gelassen - was, wenn ich es doch gesehen hatte?«
Und so war er nach dem Abendessen aus dem Lager geschlüpft. Hätte jemandem Bescheid sagen sollen, hatte es aber nicht getan. Er hatte ja keine Angst, sich zu verlaufen. Und wenn es wirklich nichts war, wollte er nicht verspottet werden, weil er sich anstellte oder Gespenster sah. Hector hätte er es vielleicht gesagt - aber Hector war mit einer Nachricht zum Hauptmann der Königlichen Artilleriekompanie unterwegs, die sie mit einer Anzahl Kanonen für General Cope begleitete.
Er hatte Recht gehabt. Etwa eine dreiviertel Meile weiter oberhalb trug ihm der Wind Rauchgeruch über den schottischen Berghang entgegen. Als er dann verstohlen wie ein Fuchs im Dämmerlicht weiter durch das Unterholz kroch, hatte er schließlich das Flackern eines kleinen Feuers und Schatten gesehen, die sich vor den Bäumen einer Lichtung bewegten.
»Und dann habe ich ihre Stimme gehört. Eine Frauenstimme. Die Stimme einer Engländerin .«
»Was? Auf einem Berghang in den Highlands?« Percys Stimme klang genauso ungläubig, wie er es damals gewesen war. Auch jetzt, über ein Jahrzehnt nach dem Aufstand und der Vernichtung oder Vertreibung der barbarischen Clansmänner, waren die schottischen Highlands noch eine trostlose Wildnis. Niemand, der bei klarem Verstand war, würde sie heute aufsuchen - außer Soldaten, deren Pflicht es war. Aber eine Frau? Damals?
Er schlich sich näher heran, fest überzeugt, dass ihm seine Ohren einen Streich spielten.
»Es konnten ja ohnehin keine jakobitischen Truppen sein, dachte ich. Es war nur ein winziges Feuerchen. Und als ich nah genug war, um etwas sehen zu können …«
Sein Herz hatte vor Aufregung einen solchen Satz getan, dass er sich fast daran verschluckt hätte. Auf der Lichtung befand sich ein Mann, der entspannt auf einem Baumstamm saß.
Er konnte sich noch lebhaft an den ersten Blick erinnern, den er auf Jamie Fraser geworfen hatte, und an die Gefühle, die auf ihn eingestürmt waren - Schreck, Panik, schwindelerregende Aufregung. Das Haar, natürlich, vor allem das Haar. Lose im Nacken zusammengebunden, nicht fuchsrot, sondern dunkelrot, ein Rot wie ein Hirschfell, doch ein Rot, das im Feuerschein leuchtete, als sich der Mann jetzt vorbeugte, um noch ein Holzscheit aufzulegen.
Seine Körpergröße und seine machtvolle Ausstrahlung! Seiner Kleidung und Aussprache nach eindeutig ein Schotte. Er hatte Geschichten über den roten Jamie Fraser gehört - es konnte doch wohl keinen zweiten Mann wie ihn geben? Aber war das wirklich möglich?
Erst als es ihm vor den Augen zu verschwimmen begann, merkte er, dass er den Atem anhielt. Während er versuchte, lautlos zu atmen, hatte er die Frau gesehen, die hinter dem Feuer in sein Blickfeld trat.
Es war eine Engländerin, das konnte er auf den ersten Blick sehen. Mehr noch, sie war eine feine Dame. Eine hochgewachsene
Frau, schäbig gekleidet, aber mit der Haut, der Haltung, dem feinen Gesicht einer Adeligen. Und erst recht der Stimme. Sie sprach den Mann mit gereizter Stimme an; er lachte.
Sie rief ihn beim Namen - bei Gott, es war Jamie Fraser! Und durch den Nebel seiner Panik und Aufregung hindurch hatte Grey die Antwort des Mannes gehört und entsetzt begriffen, dass er ihr Avancen machte und seine Absicht kundtat, sie mit ins Bett zu nehmen. Er hatte sie also entführt - und sie an diesen abgelegenen Ort verschleppt, um sie ungehindert und ungestört zu entehren.
Greys erster Impuls war es gewesen, sich lautlos durch das Unterholz zurückzuziehen, dann so schnell wie möglich den Berg hinunterzustürzen und zum Lager zu rennen, um ein paar Männer zu holen und Fraser festzunehmen. Doch die Anwesenheit der Engländerin änderte alles. Er wagte es nicht, sie in den Fängen des Schotten zurückzulassen. Er hatte bereits ein Erlebnis in einem Bordell hinter sich und wusste, wie schnell ein unmoralischer Akt vollzogen war. Bis er mit Hilfe zurückkehrte, würde es viel zu spät sein.
Er war fest davon überzeugt, dass sein Herzschlag weithin zu hören sein musste, so fest hämmerte er ihm in den Ohren.
»Ich war natürlich bewaffnet.« Er hielt den Blick zur Decke gerichtet, als hätte das
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