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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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bringen. »Unterdessen sind Fraser und seine Männer um das Lager herum zum Artilleriepark geschlichen, haben sämtliche Räder von den Kanonen abmontiert und sie verbrannt. Mit Hilfe der Angaben, die sie von mir hatten.«
    Percy hatte den Blick voller Mitgefühl auf ihn gerichtet gehabt. Bei diesem letzten Geständnis klappte ihm der Mund
auf. Im ersten Moment war seine Miene schockiert. Dann streckte er die Hand aus, nahm Greys linken Arm in beide Hände und betastete ihn sanft durch das Hemd. Der Knochen war unregelmäßig verheilt.
    »Was hat er dir angetan?«, fragte Percy leise. »Dieser Fraser?«
    »Das spielt keine Rolle«, sagte Grey ein wenig schroff. »Ich hätte mich von ihm umbringen lassen sollen.« Er war fest überzeugt gewesen, dass Fraser tatsächlich vorhatte, ihn umzubringen - und hatte kein Wort gesagt. Die Wahrheit … nun, Hal hatte er es ja erzählt. Er schloss die Augen, zog den Arm aber nicht fort. Percys Hände waren warm, seine Daumen strichen sanft über den Knochen.
    »Es war die Frau«, sagte er und ergab sich in die vollständige Erniedrigung. »Er hat sie bedroht. Und ich - Idiot, der ich war - habe geredet, um sie zu retten.«
    »Aber was hättest du denn sonst tun sollen?«, sagte Percy, und es klang so vernünftig, dass Grey die Augen öffnete und ihn anstarrte. Percy lächelte schwach.
    »Natürlich wolltest du die Frau beschützen«, sagte er. »Du willst doch jeden beschützen, John - ich nehme an, du kannst gar nicht anders.«
    Erstaunt öffnete Grey den Mund, um dieser absurden Behauptung zu widersprechen, wurde aber daran gehindert, weil sich Percy vorbeugte und ihn sanft küsste.
    »Du bist der mutigste Mensch, den ich kenne«, sagte Percy, und sein Atem hauchte warm über Greys Wange. »Und du wirst mich nicht vom Gegenteil überzeugen. Dennoch -« Er setzte sich zurück und betrachtete Grey neugierig. »Ich gebe zu, dass es mich überrascht, dass du nach diesem Erlebnis noch Soldat geworden bist.«
    »Mein Vater war Soldat, Hal ebenso. Etwas anderes ist mir nie in den Sinn gekommen«, sagte Grey wahrheitsgemäß. Er brachte ein schiefes Lächeln zuwege. »Und man kommt in der Welt herum.«
    Bei diesen Worten erhellte sich Percys Gesicht.

    »Ich habe die Britischen Inseln noch nie verlassen. Ich hätte schon immer gern Italien gesehen - schade, dass dort nicht gekämpft wird. Meinst du, Deutschland wird mir gefallen?«
    Grey durchschaute Percys Versuch, vom Thema seiner Blamage abzulenken, und warf ihm einen dementsprechenden Blick zu - ging aber dennoch darauf ein.
    »Wahrscheinlich, solange du dir nicht die Ruhr fängst. Das Bier ist sehr gut. Aber was Italien anbelangt - vielleicht können wir ja dorthin reisen. Im Winter, wenn der Feldzug vorüber ist. Ich würde dir so gerne Rom zeigen.«
    »Oh, das wäre herrlich! Du bist dort gewesen - woran kannst du dich am lebhaftesten erinnern?«
    Grey blinzelte. Eigentlich waren seine Eindrücke aus Rom ein einziger Wirrwarr aus antikem Gestein: die schwarzen Bodenplatten der Via Appia, die Marmorbäder von Caracalla, die dunklen, nach Talg stinkenden Tiefen der Katakomben, in denen die Berge verstaubter brauner Schädel genauso sehr Teil der Höhle zu sein schienen wie der eigentliche Fels.
    »Die Möwen am Tiber«, sagte er plötzlich. »In Rom rufen sie die ganze Nacht. Man hört ihre Schreie von den Steinen der Straßen widerhallen. Es ist irgendwie bewegend.«
    »Möwen?« Percys Miene war ungläubig. »Es gibt doch Möwen an der Themse, zum Kuckuck.« Grey blickte zum Fenster, das jetzt dunkel und nassgeregnet war.
    »Ja. In Rom … ist es anders. Du wirst schon sehen«, sagte er. Dann erhob er sich auf den Ellbogen und gab Percy seinen Kuss zurück.

22
    Beschämt
    Wie so oft im Leben nahm die allgemeine Hektik noch zu. Nach ihrem improvisierten Abendessen sah er Percy fast eine Woche lang nicht wieder, es sei denn, er erspähte ihn zufällig am anderen Ende des Exerzierplatzes, oder sie lächelten sich im Vorübergehen zu, wenn sie sich in einem Korridor begegneten. Ihm blieb gar keine Zeit, sich mehr zu wünschen. Der Druck, der auf ihm lastete, wuchs mit jedem Tag, und er konnte spüren, wie sich die Verantwortung wie eine Schlingpflanze um sein Rückgrat rankte, die ihre gierigen Finger nach dem Inneren seines Schädels ausstreckte.
    Er war seit drei Tagen nicht mehr zu Hause gewesen und ernährte sich nur noch von abgestandenem Kaffee, Fleischpastetchen und hier und da einem Schluck Brandy. Irgendetwas, so dachte

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