Die Sünde der Brüder
nebeneinander angespannt und drohten jeden Moment, den Streitwagen umzustürzen, der wie ein Kiesel hinter ihnen her hüpfte - galoppierte weiter, notdürftig im Zaum gehalten von dem einarmigen Verrückten, der aufrecht hinter den Pferden stand und einen zu Tode verängstigten Stallknecht mit einer Peitsche neben sich stehen hatte, der sich mit einer Hand an den Streitwagen und mit der anderen an Graf von Namtzen klammerte.
Grey erhob sich, starrte das Schauspiel an und wischte sich über das Gesicht. Sie würden die Wendung nicht schaffen.
» Langsamer «, brüllte er, doch es war viel zu spät, selbst wenn sie ihn im Donnern des Gefährts gehört hätten. Das linke Rad des Streitwagens hob ab, berührte den Sand, hob sich wieder und löste sich dann, begleitet von großem Geschrei, ganz vom Boden, als die Pferde das Gleichgewicht verloren und sich gegenseitig in den Weg gerieten, weil sie sich unkontrolliert in die Kurve legten.
Der Streitwagen stürzte auf die Seite und verstreute seinen Inhalt als Gewirr um sich schlagender Gliedmaßen. Die Pferde galoppierten mit wehenden Leinen noch einige Schritte weiter, bevor sie stolpernd zum Halten kamen und dabei die Bruchstücke des zerstörten Streitwagens hinter sich verloren.
»Himmel«, sagte Grey erneut, weil ihm nichts Besseres einfiel. Die beiden Gestalten kämpften sich im Sand hoch. Der einarmige Mann verlor das Gleichgewicht und fiel hin; der Stallknecht versuchte, seinen anderen Arm zu packen, um ihm zu helfen, und wurde für seine Bemühungen beschimpft.
Wilhelm, der neben Grey stand, bekreuzigte sich.
»Wir sind so froh, dass Ihr gekommen seid, mein Herr«, sagte er mit bebender Stimme. »Wir wussten nicht mehr, was wir tun sollten.«
Und Ihr glaubt, ich weiß es?, dachte Grey später als stumme Erwiderung. Der Stallknecht war mit gebrochenem Arm zu Bett gebracht worden, man hatte einen Arzt gerufen, und die Pferde - die glücklicherweise unversehrt geblieben waren - waren versorgt und in den Stall geführt worden. Der ehemalige Streitwagenfahrer hatte die heftige Schwellung über seinem Auge und sein verrenktes Knie unbekümmert abgetan und Grey mit der größten Wärme begrüßt, ihn umarmt und auf beide Wangen geküsst, bevor er ihm den Arm um die Schultern legte, zum Haus humpelte und dort nach Essen und Trinken rief.
Jetzt saßen sie ausgestreckt in ihren Sesseln vor dem Feuer und warteten auf das Abendessen, umringt von einem Rudel heftig atmender, am Boden liegender Hunde. Ein Teller mit Häppchen und ein Dekanter mit exzellentem Brandy verkürzten ihnen die Wartezeit. Es herrschte eine Atmosphäre falschen Friedens, doch Grey ließ sich nicht täuschen.
»Habt Ihr völlig den Verstand verloren, Stephan?«, erkundigte er sich höflich.
Von Namtzen schien über diese Frage nachzudenken, während er das Aroma seines Brandys einatmete.
»Nein«, sagte er nachsichtig und atmete aus. »Warum fragt Ihr?«
»Zum Ersten sind Eure Dienstboten völlig verschreckt. Ihr hättet diesen Stallknecht leicht umbringen können. Ganz zu schweigen davon, Euch den Hals zu brechen.«
Von Namtzen betrachtete Grey über sein Glas hinweg und verzog ein wenig den Mund.
»Ihr seid natürlich noch nie vom Pferd gefallen, nicht wahr? Wie geht es meinem lieben Karolus übrigens?«
Grey stieß ein widerstrebend amüsiertes Geräusch aus.
»Er strotzt vor Gesundheit. Und wie geht es Prinzessin Louisa? Oh - ich bedaure«, sagte er, als er die Veränderung in von Namtzens Gesicht sah. »Bitte seid so freundlich und vergesst, dass ich gefragt habe.«
Stephan winkte ab und griff nach dem Dekanter.
»Sie strotzt ebenfalls«, sagte er ironisch. »Sie bekommt ein Kind.«
»Mein lieber Freund!« Das freute Grey aufrichtig, und er hätte Stephan mit einem Händedruck gratuliert, wenn dieser eine Hand frei gehabt hätte. So jedoch begnügte er sich damit, sein Glas zum Salut zu heben. »Auf Euer Glück und darauf, dass Eure Familie gesund bleibt!«
Von Namtzen hob ebenfalls sein Glas. Er sah ein wenig verlegen, aber erfreut aus.
»Sie sieht aus wie ein Rumfass«, sagte er bescheiden.
»Ausgezeichnet«, sagte Grey in der Hoffnung, dass dies eine angebrachte Antwort war, und füllte beide Gläser nach.
Das erklärte natürlich die Abwesenheit der Prinzessin und der Kinder; Louisa hielt sich wahrscheinlich lieber in der Nähe der betagten Mutter ihres ersten Mannes auf - wenn auch nur der Himmel wusste, warum.
Auf dem Tisch stand eine Blumenvase. Rostrote
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