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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Hund genauer zu betrachten. Dieser wandte sich prompt zu ihm um und machte - immer noch schwanzwedelnd - plötzlich einen Satz. Er landete mit den Stummelpfoten auf Greys Knien, und seine lange Nase schnüffelte neugierig in Greys Gesicht herum. Erst als er ihn jetzt lachend streichelte, bemerkte er die verheilten Narben, die sich über seine kräftigen Schultern zogen.
    »Wogegen hat er denn gekämpft? Hähne?«
    »Dachse«, sagte von Namtzen mit immenser Genugtuung. »Er ist speziell dazu gezüchtet, Dachse zu bekämpfen.«
    Gustav war es müde geworden, auf den Hinterbeinen zu stehen; er ließ sich auf den Boden zurückfallen und drehte sich - immer noch schwanzwedelnd - auf den Rücken, um sich den ausladenden rosa Bauch streicheln zu lassen. Grey tat ihm den Gefallen und zog die Augenbraue hoch; der Hund war so liebenswert, dass er einen beinahe schwachsinnigen Eindruck machte.
    »Dachse, sagt Ihr. Hat er schon einen erlegt?«
    »Über ein Dutzend. Ich zeige Euch morgen die Pelze.«
    »Tatsächlich?« Grey war beeindruckt. Er hatte schon einige Dachse erlebt und kannte kein Geschöpf - Menschen eingeschlossen -, das bereit war, sich mit ihnen einzulassen; Dachse standen völlig zu Recht in dem Ruf, reißende Bestien zu sein.
    »Tatsächlich.« Von Namtzen schenkte sich ein frisches Glas ein, hielt höchstens eine Sekunde inne, um den Duft des Brandys einzuatmen, und schüttete ihn dann auf eine Weise herunter, die der Qualität des Getränks in keiner Weise gerecht wurde. Er schluckte, hustete und musste das Glas abstellen, um sich selbst vor die Brust zu klopfen. »Er ist dazu gezüchtet, sich in die Erde einzugraben«, keuchte er und wies mit tränenden Augen kopfnickend auf den Hund. »Er steigt geradewegs in den Dachsbau ein und bekämpft sie in ihrer eigenen Behausung.«
    »Das muss ein Heidenschreck für die Dachse sein.«
    Das brachte Stephan zum Lachen. Die Anspannung wich für
eine Sekunde aus seinem Gesicht, und zum ersten Mal seit seiner Ankunft sah Grey für eine Sekunde das Antlitz des Freundes, das er von früher her kannte.
    Dadurch ermutigt füllte er Stephans Glas noch einmal bis zum Rand. Er spielte mit dem Gedanken, für die Zeit nach dem Abendessen eine Partie Karten vorzuschlagen - er empfand das Kartenspiel als beruhigend für die Nerven -, überlegte es sich bei genauerem Nachdenken jedoch anders.
    Wahrscheinlich konnte Stephan ja ganz passabel spielen, doch die Handbewegungen, die dazugehörten, mussten seine Behinderung zwangsweise betonen - und Grey gab sich schon so alle Mühe, den leeren Ärmel nicht anzustarren, der schlaff in der Luft flatterte, wenn von Namtzen sich bewegte. Ihm war aufgefallen, dass Schulter und Oberarm noch intakt waren; die Amputation musste knapp oberhalb des Ellbogens durchgeführt worden sein.
    Da sich Stephan im Lauf ihres unkomplizierten Abendessens aus Eiern, Wurst und getoasteten Brötchen allmählich entspannte, widerstrebte es Grey, den eigentlichen Grund seines Besuchs anzusprechen. Ob es der Verlust des Armes war, irgendetwas, das mit Prinzessin Louisa zu tun hatte - denn ihm fiel auf, dass von Namtzen sie kaum erwähnte, obwohl er voll Zuneigung von seinen Kindern sprach -, oder etwas anderes, jedenfalls stand fest, dass sich Wilhelm nicht grundlos um seinen Herrn sorgte.
    Dennoch, was auch immer Stephan Kummer bereitete, er würde sein Thema ansprechen müssen - und die Zeit war knapp. War es besser, fragte sich Grey, während er Stephan eine Pfeife anzündete und sie ihm reichte, bis zum Morgen zu warten? Oder würde es für sie beide einfacher sein, wenn er jetzt sprach, solange die Wärme ihrer erneuerten Freundschaft und die Intimität der herannahenden Nacht der Sache vielleicht die schlimmste Schärfe nahmen? Dies und der reichliche Alkohol; sie hatten zum Essen gemeinsam eine Flasche Rheinwein getrunken, und der Dekanter enthielt jetzt noch einen knappen Zentimeter Brandy.

    Er beschloss, noch ein wenig zu warten, war sich aber nicht sicher, ob diese Entscheidung der Klugheit oder der Feigheit entsprang. Er schenkte ihnen den Rest des exzellenten Brandys ein, achtete aber darauf, sein eigenes Glas nur halb zu füllen. Blieb bei leichten Gesprächsthemen, von Hunden und der Jagd bis hin zum letzten Brief seiner Cousine Olivia und amüsanten Feldanekdoten. Er spürte, wie sich der Schmerz seiner eigenen Gefühle allmählich legte und seine Gedanken an Percy auf erträglichen Abstand gingen - und beschloss, dass es wohl doch Klugheit gewesen

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