Die Sünde der Brüder
Krimineller und Verräter dasteht - ich will, dass er als Mörder deines Vaters dasteht; ich will die Ehre deines Vaters zurück!«
Grey bückte sich, um die Papiere vom Boden aufzuheben, dann erhob er sich und steckte sie ein.
»Also gut«, sagte er und holte tief Luft. »Ich werde ihn finden.«
Er zögerte einen Moment und sah seine Mutter an. Sie saß aufrecht da, so gerade wie ein Musketenlauf - doch sie sah
sehr schmächtig aus, und plötzlich war ihr ihr Alter deutlich anzusehen.
»Soll ich dich … nach Hause bringen?«, fragte er, unsicher, wo das sein mochte. Das Haus an der Jermyn Street war verlassen; sollte er sie zu Minnie bringen? Bei dem Gedanken an den Aufruhr, den das verursachen würde, verließ ihn der Mut.
»Nein«, sagte sie, da sie offensichtlich dasselbe dachte. »Ich habe einen Wagen hier; ich fahre zum Haus des Generals in Dulwich. Geh nur.«
»Ja.« Doch er ging nicht, nicht sofort. Ideen, Ängste, Vermutungen, halbgare Pläne wirbelten ihm durch den Kopf. »Und wenn du … Hilfe brauchst … wenn ich nicht in der Nähe bin -«
»Dann rufe ich Harry Quarry«, sagte seine Mutter entschlossen. »Geh, John.«
»Ja. Ja, das -« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Weiß Quarry Bescheid? Über alles?«
»Natürlich nicht. Er hätte es Hal doch sofort erzählt.«
»Wie hast du ihn denn dann dazu gebracht …« Er wies auf den Lederkoffer. Zu seiner Überraschung lächelte seine Mutter.
»Wieder Erpressung«, räumte sie ein. »Harry schreibt erotische Verse - sehr elegant sogar. Ich habe ihm gesagt, wenn er nicht tut, was ich verlange, erzähle ich es im gesamten Regiment herum. Es war alles ganz einfach«, sagte sie nicht ohne Selbstzufriedenheit. »Man kann mit Männern fertig werden. Man muss nur wissen, wie.«
Grey war so verblüfft über die Enthüllung, dass Harry Quarry der Sub-Genius war, dass er kaum wahrnahm, wohin er ging, und demzufolge schon eine Viertelmeile weit gegangen war, bevor ihm wieder einfiel, dass er die Kutsche in der Seitenstraße vor dem Hause ›Morning Glory‹ hatte warten lassen. Hastig wandte er sich wieder um, während er überlegte, wo er wohl am besten mit der Verfolgung von Bernard Adams begann.
Er hielt es für sehr wahrscheinlich, dass seine Mutter Recht hatte; Adams würde nach Frankreich gehen. Doch wenn das zutraf - würde er im nächstgelegenen Hafen einschiffen? In diesem Fall konnte ihn Grey höchstwahrscheinlich noch einholen; er hatte nicht mehr als eine Stunde Vorsprung, höchstens zwei. Doch was, wenn er erst ein Stück auf dem Landweg reisen und dann von einem weiter entfernten Hafen ausfahren wollte, um seine Verfolgung zu erschweren?
Doch rechnete er überhaupt mit einer Verfolgung? Wahrscheinlich ging er davon aus, dass die Herzogin Beweise für seine Taten hatte - doch sie hätte mindestens einen oder zwei Tage benötigt, um diese Beweise - falls sie existierten - jemandem vorzulegen, der dann reagieren konnte.
Und wenn er nicht damit rechnete - doch er hatte sein Haus abrupt verlassen, ohne sich auch nur Zeit zum Packen seiner Habseligkeiten zu nehmen. Das deutete auf eine überstürzte Flucht hin …
Ganz von diesen Überlegungen gefangen, bog Grey in die falsche Seitenstraße ein, gelangte zu der Überzeugung, dass der Kutscher des Wartens müde geworden und weggefahren war, erkannte dann seinen Fehler und machte kehrt. Als er die Kutsche endlich gefunden hatte, war sein Hemd durchgeschwitzt, sein Arm schmerzte, und seine Brust hatte zu brennen begonnen. Er ergriff die Kutschtür, öffnete sie schwungvoll und stieg ein. Dann hielt er verblüfft inne, weil er feststellen musste, dass schon jemand darin saß.
»Hoffe, es geht Euer Ehren gut«, sagte einer der Brüder O’Higgins höflich. »Ihr habt Euch ja ewig Zeit gelassen, wenn ich das sagen darf.«
Grey setzte sich hin und wischte sich mit dem Ärmel über die verschwitzte Stirn.
»Was macht Ihr hier?«
»Na, ich warte natürlich auf Euch.« Er beugte sich zum Fenster hinaus und rief dem Kutscher zu: »Abmarsch, Junge. Wohin ich dir gesagt habe, und zwar schnell!«
»Und wo ist das?« Grey kam allmählich wieder zu Atem,
und sein Kopf klärte sich. Er warf O’Higgins einen argwöhnischen Blick zu.
»Zum Regimentsquartier natürlich«, sagte der Ire. »Da wird er sein.«
»Er?«
O’Higgins verdrehte die Augen.
»Bernard Adams. Eine lausige Ausrede für einen Iren, und dann auch noch ein Abtrünniger«, fügte er mit frommer Miene hinzu und bekreuzigte
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