Die Sünde der Brüder
seiner Kinder als der erste Mann meiner Mutter. Hals Taufpate war Robert Walpole.«
»Was, der erste Premierminister?« Percys verblüfftes Gesicht schenkte ihm einen Moment der Genugtuung.
»Nun, als Hal geboren wurde, war er das natürlich noch nicht. Und als etwa zwanzig Jahre später der Skandal losbrach, war Walpole zwar selbst dem Tode nah - aber er war immer noch ein außerordentlich mächtiger Mann. Außerdem«, fügte Grey in aller Logik hinzu, »hätte es Walpoles Ruf - ganz unabhängig von seiner persönlichen Meinung - nicht besonders gutgetan, wenn man den Vater seines Patenkindes öffentlich zum Verräter gestempelt hätte. Nicht an einem solch kritischen Punkt seiner eigenen Karriere.«
Grey hielt kurz inne, dann kam er zum Schluss.
»Also wurde der Antrag niedergeschlagen. Man hatte meinem Vater schließlich keinen Hochverrat nachgewiesen. Doch der folgende öffentliche - und private - Aufschrei reichte aus, um Hal zu der Erklärung zu veranlassen, er würde keinen beschmutzten Titel tragen, und seitdem weigert er sich, ihn zu benutzen. Er hätte ihn gern ganz abgelegt, wurde aber durch Freunde davon abgehalten, die ihn darauf hingewiesen haben, dass ein solcher Titel nicht auf einem Mann allein ruht - sollte er einen Sohn bekommen, würde dieser ihn erben.«
Er lachte auf.
»So. Eine sehr lange Geschichte, fürchte ich - aber keine Angst, wir kommen jetzt zum Ende.«
Zwei oder drei Jahre nach dem Tod des Herzogs hatte Charles Edward Stuart angefangen, Ärger zu machen, und wieder hatte die jakobitische Hysterie das Land überzogen und ihren Gipfel erreicht, als der Bonnie Prince in den Highlands landete.
»Woraufhin Hal prompt die alte Regimentsstandarte meines Vaters aufgepflanzt hat, ein Vermögen ausgegeben hat, um das Regiment neu aufzubauen, und dann im Dienst des Königs in die Highlands marschiert ist. Der König konnte es sich nicht leisten, seine Dienste zurückzuweisen, genauso wenig wie sein Vater dreißig Jahre zuvor, als ihm mein Vater den gleichen Dienst erwiesen hat.«
Er sagte nichts davon, was für eine unglaubliche Leistung Hal vollbracht hatte. Er war damals knapp fünfzehn gewesen
und hatte weder die wahren Ausmaße des Skandals noch der Anstrengungen seines Bruders geahnt. Erst jetzt konnte er rückblickend einschätzen, welch unfassbare Energie und geradezu manische Sturheit Hal in die Lage versetzt hatten zu tun, was er getan hatte.
Melton, für den es nichts Wichtigeres gab als die Wiederherstellung der Familienehre, war den Highlandtruppen unter Cope bei Prestonpans gegenübergetreten - und geschlagen worden. Hatte sich in der weniger entscheidenden Schlacht von Falkirk behaupten können - und dann in Culloden …
Grey trocknete die Stimme im Mund ein, und er hielt inne und bewegte die Zunge, um ein wenig Speichel aufzutreiben.
»Ein viel gerühmter Sieg!«, sagte Percy in respektvollem Ton. »Davon habe ich sogar in den Zeitungen gelesen.«
»Ich hoffe, Ihr müsst nie einen solchen Sieg miterleben«, sagte Grey knapp. Er ballte die rechte Hand zur Faust und spürte, wie Hectors Saphirring gegen das Leder seines Handschuhs drückte. Hector war in Culloden gestorben. Doch von Hector wollte er jetzt nicht sprechen.
Überrascht von seinem Ton, sah Percy ihn an, erwiderte jedoch nichts. Grey holte tief Luft, und die Luft lag kalt und schwer in seiner Brust. Sie waren langsam gegangen, doch jetzt hatten sie den Park durchquert, und Lady Jonas’ Haus befand sich in Sichtweite; er konnte sehen, wie die Gäste einzeln oder zu zweit eintrafen und an der Tür durch den Butler begrüßt wurden.
In unausgesprochenem Einklang blieben sie ein Stück entfernt auf der Straße stehen. Wainwright wandte ihm das Gesicht zu. Seine Augen waren immer noch warm, aber ernst.
»Eure Mutter lässt sich nicht als Herzogin ansprechen?«, fragte er, und Grey schüttelte den Kopf.
»Seit dem Tod meines Vaters ist mein Bruder das Familienoberhaupt; sie würde niemals etwas tun, das so aussieht, als wollte sie seine Autorität untergraben. Sie benutzt den Titel verwitwete Gräfin Melton.«
»Ich verstehe.« Wainwright betrachtete Grey mit unverhohlener
Neugier. »Und dennoch nennt Ihr Euch nach wie vor …«
»Lord John. Ja, das tue ich.«
Wainwrights Mundwinkel verzog sich.
»Wie ich sehe, ist Euer Bruder nicht der einzige Sturkopf.«
»Es liegt in der Familie«, erwiderte Grey. »Wollen wir hineingehen?«
5
Genius und Sub-Genius
Grey fiel sofort auf, dass sich Percy nicht ganz
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