Die Sünde der Brüder
verlockend vor ihnen, von jeder Verpflichtung frei. Eigentlich sollte er Percy in der Kaserne, den Lagerhäusern und auf dem Exerzierplatz herumführen und ihn unterwegs dem einen oder anderen Offizier oder Soldaten vorstellen. Zum Teufel damit , dachte er. Dazu ist noch genug Zeit .
»Habt Ihr wirklich ein Schwert in der Wiege liegen gehabt?«, fragte Percy und grinste ihn von der Seite an.
»Natürlich nicht. Ein Schwert nützt einem nichts, wenn man kein Gleichgewichtsgefühl hat«, sagte Grey nachsichtig. »Ich glaube, ich hatte bereits das fortgeschrittene Alter von drei Jahren erreicht, als mein Vater endlich überzeugt war, dass ich auf den Beinen bleiben würde.«
Der ungläubige Blick, den Percy ihm zuwarf, stellte ihn zufrieden, doch er hob die Hand, um seine Worte zu unterstreichen.
»Wirklich. Wenn Ihr meinen - unseren Bruder«, verbesserte er sich lächelnd, »einmal näher kennenlernt, fragt ihn, woher er die Narbe an seinem linken Bein hat. Hal war sehr liebenswürdig, als es daranging, seinem kleinen Bruder den Umgang mit einem Schwert beizubringen, aber er war so unvorsichtig, mir sein eigenes Rapier zum Ausprobieren zu geben. Es war an der Spitze nicht abgestumpft, und ich habe ihm die Wade durchbohrt. Er hat eimerweise geblutet und einen Monat lang gehinkt.«
Percy lachte laut auf, wurde aber rasch wieder nüchtern.
»Meint Ihr, es ist furchtbar wichtig? Dass ich mit einem Schwert umgehen kann, meine ich? Signor Berculi schien ja zu denken, dass mir jedes angeborene Talent fehlt, und ich muss sagen, ich kann ihm da nur zustimmen.«
Dies stimmte unleugbar, doch anstatt es zu bestätigen, machte Grey nur eine vage Handbewegung.
»Es ist immer gut, wenn man mit Waffen umgehen kann, vor allem im Nahkampf, aber ich kenne viele Offiziere, die es nicht können. Viel wichtiger ist es, wie ein Offizier zu handeln.«
»Und wie geht das?« Dies schien Percy aufrichtig zu interessieren, was ja der erste Schritt war, und so klärte Grey ihn auf.
»Eure Männer dürfen Euch nicht gleichgültig sein - aber Ihr dürft auch ihre Bestimmung nicht aus dem Auge verlieren. Sie werden im Kampf auf Euch schauen, und manchmal wird Eure Kraft das Einzige sein, was sie weiterkämpfen lässt. An diesem Punkt spielt ihr körperliches Wohlbefinden keine Rolle mehr,
weder für sie noch für Euch. Alles, was zählt, ist, sie zusammenzuhalten und sie durchzubringen. Sie müssen darauf vertrauen, dass Ihr das könnt.«
Als er Percys sorgenvolle Miene sah, änderte er seinen Plan für den Nachmittag.
»Nach dem Essen gehen wir zum Exerzierplatz, und ich erkläre Euch, wie man eine Marschübung abhält. Dazu sind solche Übungen da; die Männer müssen den Blick gewohnheitsmäßig auf Euch gerichtet haben und Euren Befehlen ohne jedes Zögern Folge leisten. Und dann«, sagte er zurückhaltend, »könnten wir vielleicht etwas zu Abend essen. Eure Wohnung liegt doch in der Nähe des Exerzierplatzes, glaube ich? Wenn es Euch nichts ausmacht… könnten wir uns ja etwas besorgen und dort essen.«
Percys Gesicht erhellte sich, und das besorgte Stirnrunzeln wich einem lässigen Lächeln.
»Das wäre sehr schön«, sagte er. Dann hustete er und wechselte das Thema.
»Was hat Melton während Eures Kampfes zu Euch gesagt? Über eine Verschwörung von Sodomiten?« Ein Hauch von Unglauben lag in seiner Stimme. »Eine Verschwörung welchen Inhalts?«
»Oh … für Skandale zu sorgen, die öffentliche Moral zu untergraben, Kinder zu verführen, es mit Pferden zu treiben -«, er lächelte ausdruckslos in das Gesicht eines älteren Herrn, der ihn im Vorübergehen gehört hatte und ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte. »Ihr wisst schon.«
Percy stieß einige kleine Prustgeräusche aus und zog ihn am Arm weiter.
»Ja«, sagte er dann immer noch prustend. »Ich bin schließlich unter Methodisten aufgewachsen.«
»Ich dachte, Methodisten würden nicht einmal zugeben, dass solche Dinge möglich sind.«
»Gewiss nicht laut«, sagte Percy trocken. »Aber warum interessiert sich Euer Bruder ausgerechnet für diese Angelegenheit?«
»Weil -«, sagte er, und weiter kam er nicht. Ein Mann stieß ihn heftig an und schubste ihn so fest gegen eine Wand, dass er stolperte.
»Was zum Teufel soll das? Wer -« Er fuhr sich entrüstet mit der Hand an die schmerzende Schulter, dann sah er die Miene des Mannes und duckte sich. Er hatte das Messer zwar nicht gesehen, hörte es aber genau dort über die Mauerziegel kratzen, wo er eine Sekunde
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