Die Sünde der Brüder
zuvor noch gestanden hatte.
Der Mann fing sich bereits wieder und machte kehrt. Grey trat nach dem Straßenräuber und zielte auf sein Knie, traf ihn jedoch genau vor das Schienbein, sodass sein eigener Fuß schmerzte. Dennoch heulte der Mann auf und wich zurück. Grey packte Percy am Ärmel.
»Lauft weg!«
Percy lief weg, Grey ihm nach, und sie rannten die Straße entlang, zwischen den Maroniständen, Orangenverkäufern und einer Masse langsam schlendernder Frauen hinduch, die kreischend in alle Richtungen stoben, als die Männer durch ihre Mitte pflügten. Hinter ihnen erklangen Schritte auf dem Pflaster; er sah sich um und entdeckte zwei kräftige Männer, die sie entschlossen verfolgten.
Er hatte sein Rapier im Fechtsaal vergessen, verdammt. Doch er hatte seinen Dolch dabei. Er bog seitlich in eine Gasse ein, riss seine Weste auf und tastete panisch danach. Ihm blieb kaum mehr als eine Sekunde Zeit, als ihn auch schon der Erste der Männer einholte und mit einem Grinsen voller Zahnlücken nach ihm fasste. Zu spät sah der Straßenräuber den Dolch; die Spitze traf ihn am Bauch und ritzte sein Hemd auf und die Haut darunter. Grey sah Blut und verschärfte seine Attacke. Schreiend hieb er auf den Mann ein.
Mit alarmierter Miene wich der Mann tänzelnd zurück und rief: »Jed!«
Jed traf prompt auf der Szene ein und tauchte mit einem Schlehdornknüppel hinter seinem Kameraden auf. Damit versetzte er Greys Unterarm einen so kräftigen Hieb, dass dieser taub wurde, dann ließ er ihn auf seine Hand niedersausen. Der
Dolch flog im hohen Bogen in einen Abfallhaufen. Grey hielt nicht inne, um danach zu suchen.
Er wich einem weiteren Hieb aus und lief die Gasse entlang. Dabei hielt er Ausschau nach einem Ausweg oder einem Unterschlupf, fand aber keines von beidem.
Sie waren beide hinter ihm her. Ihm blieb keine Zeit, sich zu fragen, wo Percy war. Die gemauerte Wand eines Gebäudes ragte vor ihm auf. Sackgasse.
Eine Tür - es hatte eine Tür, und er warf sich dagegen, doch sie gab nicht nach. Er hämmerte und trat dagegen und rief um Hilfe. Eine Hand packte seine Schulter, und er fuhr herum und hieb mit der Faust zu. Der Dieb verzog das Gesicht, wich zurück und schlug auf ihn ein wie ein gereizter Bär.
Auch Jed und sein verflixter Knüppel waren jetzt wieder da. Der Mann keuchte vom Rennen.
»Los, mach ihn fertig«, sagte der erste Räuber und wich zurück, um Platz zu machen. Jed nahm den Schlehdornknüppel in beide Hände und rammte ihn Grey in die Rippen.
Der nächste Hieb erwischte ihn im Schritt, und die Welt wurde weiß. Er ging zu Boden wie ein weggeworfener Abfallsack und krümmte sich zusammen. Die nassen Pflastersteine unter seinem Gesicht nahm er kaum wahr. Ihm dämmerte, dass er gleich sterben würde, doch er war nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Tritte und Knüppelhiebe trafen seinen Körper; durch den Nebel aus Schmerz spürte er sie kaum.
Dann hörte es auf, und für einen herrlichen Moment der Erleichterung glaubte er, er sei tot. Doch er atmete noch und musste feststellen, dass er nicht tot war, denn der Schmerz durchfuhr ihn so plötzlich und brennend wie der Funke in einer Leidener Flasche.
»Ihr seid es tatsächlich«, sagte eine schroffe schottische Stimme irgendwo über ihm. »Dachte ich’s mir doch. Seid Ihr schwer verletzt?«
Er konnte nicht antworten. Enorme Hände packten ihn unter den Achselhöhlen und lehnten ihn im Sitzen an die Wand.
Er stieß ein schwaches Röcheln aus - einen lauteren Schrei brachte er nicht zustande - und spürte, wie die Galle seine Kehle überflutete.
»Oh, so schlimm, ja?«, sagte die Stimme, die resigniert klang, als er sich zur Seite beugte und sich übergab. »Aye, dann geduldet Euch kurz. Ich lass’ meine Sänfte holen.«
Der extrem junge Apotheker, der Greys Unterarm mit ernster Miene anblinzelte, berührte ihn vorsichtig mit dem Finger.
»Oh, ist es so schlimm?«, sagte er mitfühlend, als Grey zischend einatmete.
»Nun, gut ist es jedenfalls nicht«, sagte Grey, der die Zähne nur mit Mühe voneinander lösen konnte. »Aber ich glaube nicht, dass etwas gebrochen ist.« Sehr behutsam bewegte er sein Handgelenk, verkrampfte sich, weil er damit rechnete, knirschende Knochensplitter zu spüren, doch alles bewegte sich so, wie es sollte. Es schmerzte, aber es bewegte sich.
»Ich sag doch, mehr als blaue Flecken hat er nicht.« Rab MacNab, der an der Wand stand, trat von einem Bein auf das andere, ließ die verschränkten Arme
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