Die Sünde der Brüder
hätte ihm nicht sagen können, warum er dessen Bitte zugestimmt hatte, ohne Hubert Bowles zu erwähnen. Dies wiederum konnte zu weiteren Fragen führen, die für keinen von ihnen wünschenswert waren.
»Nein«, sagte er schlicht. »Jetzt nicht.«
Hal akzeptierte dies ohne weiteren Kommentar; er konnte gnadenlos sein, wenn es darum ging, Dinge herauszufinden, von denen er glaubte, dass sie ihn etwas angingen - doch ebenso war er bereit, anderen ihren Freiraum zu lassen.
»Mutter hat mit keinem Wort angedeutet, wer diese Männer waren?« Das Schränkchen mit dem Automaten stand nach wie vor in der Ecke, doch Hal hatte das Gefäß mit den Sprüchen auf seinem Schreibtisch stehen und steckte ab und zu die Hand hinein, um einen der zusammengefalteten Papierstreifen herauszuziehen, ihn zu lesen und wieder zurückzuwerfen.
»Nein. Glaubst du, dass sie wirklich existieren?« Dies war ein Gedanke, der Grey in der Nacht gekommen war; dass die Gräfin diese nebulösen Gestalten nur erfunden hatte. In diesem Fall konnte er sich allerdings nicht erklären, warum sie die Verlobung gelöst hatte.
»O ja. Ich glaube, ich könnte zumindest zwei von ihnen beim Namen nennen.« Hal faltete einen neuen Zettel auseinander. » Wer mit Schmutz wirft, verliert den Boden unter den Füßen «, las er. »Meinst du vielleicht, die O’Higgins-Brüder haben diese Sprüche selbst geschrieben?«
»Wer?« Greys Stimme blieb beiläufig, obwohl sein Puls einen Satz machte. »Was die Gebrüder O’Higgins angeht, so bezweifle ich, dass sie überhaupt schreiben können.«
»Da könntest du Recht haben.« Hal ließ den Zettel wieder in den Behälter fallen und schüttelte ihn. »Hauptmann Rigby - Gilbert Rigby - und Lord Creemore. Ich war gerade in England,
als Mutter aus Frankreich zurückgekehrt ist, und habe sie beinahe täglich besucht. Sie hatte zwar viele Besucher - aber diesen beiden bin ich am häufigsten begegnet, und zwar allein mit ihr.«
Grey griff in den Behälter, um den Hauch von Verbitterung zu verbergen, die in ihm aufflammte, als sein Bruder jene Zeit erwähnte, als er vom Leben seiner Familie ausgeschlossen gewesen war.
» Wer über sich selbst lacht, hat immer Grund zu lachen «, las er und lächelte zögernd. »An Hauptmann Rigby habe ich eine vage Erinnerung. Wenn ich mich recht entsinne, hat er immer seinen Hund mitgebracht. Aber Lord Creemore kenne ich, glaube ich, nicht.«
»Vielleicht nicht unter seinem Titel. Sein Name ist George Longstreet«, sagte Hal trocken. Er zog ein weiteres Sprüchlein, las es und warf es kopfschüttelnd zurück.
»Warum erzählst du mir jetzt von ihnen?«, fragte Grey neugierig. »Als ich dir das letzte Mal Fragen nach den Umständen gestellt habe, unter denen Vater ums Leben gekommen ist, hast du dich geweigert, meine Intelligenz durch Antworten zu beleidigen.«
» Verwechsle niemals Versuchung mit einer günstigen Gelegenheit «, las Hal den nächsten Spruch, versenkte ihn wieder und lehnte sich zurück, um seinen Bruder von oben bis unten zu mustern.
»Ich wollte dir nichts sagen, weil ich wusste, dass du sonst in Hornissennestern herumstochern würdest, und es keinen Sinn hat, Dinge aufzuwirbeln, die seit Jahren ruhen. Aber jetzt…« Hal betrachtete ihn weiter ausführlich und ließ den Blick kopfschüttelnd auf den verbliebenen blauen Flecken ruhen. » Wenn etwas Wahres an Mutters Theorie ist, dass man dich überfallen hat, um sie zum Schweigen zu ermahnen, ist es gut möglich, dass es wieder geschieht. Sollte dies so sein, musst du schon zu deiner eigenen Sicherheit so viel wie möglich wissen.«
»Deine Fürsorge rührt mich«, sagte Grey trocken - doch es
war wirklich so. »Da das Regiment in drei Wochen abreist, glaube ich nicht, dass ich noch viele Hornissen aufstören kann.«
»Nun ja, das stimmt«, pflichtete Hal ihm kameradschaftlich bei. »Ich habe nicht vor, dir auch nur Zeit zum Schlafen zu lassen, geschweige denn dazu, in ganz London unter jedem Stein nach lange verborgenen Jakobiten zu fahnden.«
»Was du aber vorhast, ist, mir alles zu erzählen, was du über Mutters damalige Freier weißt.« Grey fischte noch einen Spruch aus dem Gefäß und faltete ihn auseinander.
Hal kaute einen Moment nachdenklich auf der Innenseite seiner Wange, dann seufzte er tief.
»Ja. Was Rigby angeht, so ist das alles nur geraten, doch dass Longstreet Mutter einen Heiratsantrag gemacht hat, weiß ich mit Sicherheit, weil ich ihn dabei erwischt habe.«
»Tatsächlich«, sagte Grey
Weitere Kostenlose Bücher