Die Sünde des Abbé Mouret
unlauterer Berührung unsichtbarer
Hände.
»Beruhige dich,« bat Sergius. »Niemand ist da… Fieberrot bist
du, ich bitte dich, laß uns etwas ausruhen.«
Nein, sie hätte kein Fieber, sie wollte gleich nach Hause, damit
niemand sie sehen und über sie lachen könne. Sie beschleunigte ihre
Schritte mehr und mehr, riß Laub von den Hecken, bedeckte ihre
Blöße damit. Um ihr Haar wand sie Zweige eines Maulbeerbaumes; mit
Windenranken umschlang sie ihre Arme und nestelte sie an den
Handgelenken fest; Schneeballstengel fügten sich zur Halskette, die
so lang herabwallte, daß ihre Brust sich in Blättern barg.
»Willst du zum Tanz gehen?« fragte Sergius, der sie zum Lachen
bringen wollte.
Aber sie fuhr fort, Laub zu flücken und warf es ihm zu, mit
ängstlich leiser Stimme sagte sie:
»Siehst du nicht, daß wir nackt sind?«
Nun begann auch er sich zu schämen und hing sich Blätter über
die unzulänglichen Kleider.
Doch fanden sie keinen Ausweg aus den Büschen.
Am Ende eines Weges kamen sie plötzlich nicht weiter, ein hohes,
graues, ernsthaftes Etwas stand vor ihnen. Die Mauer war es. »Komm,
komm!« rief Albine.
Sie wollte ihn fortziehen. Keine zwanzig Schritte aber waren sie
gegangen, da stießen sie wieder auf die Mauer, begannen in
panischem Schrecken an ihr entlang zu laufen. Finster erstreckte
sie sich, ohne Lichtspalt nach außen. Am Rande der Wiesen schien
sie plötzlich einzustürzen. Eine Bresche öffnete sich als helles
Fenster nach dem benachbarten Tal.
Dies mußte wohl die Mauerlücke sein, von der Albine einmal
gesprochen hatte, jenes Loch, das sie angeblich mit Geröll und
Dornenranken ausgefüllt hatte; auseinandergerissen lagen
Dornenranken zerstreut umher wie zerschnittene Kordeln, Steine
waren weit fortgeschleudert, die Lücke schien von irgendeiner
zornigen Hand erweitert.
Kapitel 17
»Ach, ich habe es geahnt! schrie Albine verzweifelt auf. »Bat
ich dich nicht, mich fortzuführen … Sergius, hab' Mitleid,
sieh nicht hin!«
Sergius stand auf der Breschenschwelle und sah gebannt hinaus.
In der Ebene unten ließ sinkende Sonne das Dorf Artaud golden
aufleuchten, wie ein aus Dämmerungen aufgetauchtes Scheinbild,
benachbarte Felder lagen schon im Schatten. Deutlich waren die
regellos am Wegrand errichteten Hütten zu
erkennen, die kleinen vermisteten Höfe, schmalen, gemüsebestandenen
Gärten. Etwas höher war der dunkle Umriß der großen Zypresse auf
dem Kirchhof wahrzunehmen. Und die glühend roten Kirchenschindeln,
über denen sich die schwarze Glocke wie ein dünn gezeichnetes
Gesicht vorschob. Das alte Pfarrhaus nebenan hatte Tor und Tür den
Abendlüften aufgetan.
»Aus Barmherzigkeit,« wiederholte Albine schluchzend, »sieh
nicht hin, Sergius! Denk daran, daß du versprochen hast, mich immer
zu lieben. Ach, wirst du mich noch lieben können wie zuvor! …
Da, mit meinen Händen will ich dir die Augen schließen. Du weißt
doch, meine Hände haben dich geheilt … Wie könntest du mich
zurückstoßen.«
Er schob sie langsam von sich, dann strich er sich mit der Hand
über das Gesicht, als wollte er von Augen und Stirn den letzten
Rest von Schlaf verscheuchen. Albine umklammerte seine Knie. Also
dies war die unbekannte Welt, das fremde Land, an das er hatte
niemals denken können, ohne von dumpfer Furcht befallen zu werden.
Woher kannte er dies Land? Aus welchem Traum schreckte er empor,
daß solch fürchterliches Entsetzen in ihm aufwallte, immer wachsend
in seiner Brust zum Ersticken? Es war die Zeit der Heimkehr von den
Feldern, das Dorf belebte sich. Die Männer kamen nach Hause mit dem
Gang müder Tiere, sie schulterten ihre Hacken. Die Frauen auf den
Häuserschwellen schienen zu winken, Kinderrotten jagten die Hühner
mit Steinwürfen. Zwei Rangen schlichen sich auf den Friedhof, ein
Junge und ein Mädel, bäuchlings krochen sie jetzt an der kleinen
Mauer entlang, um nicht gesehen zu werden. Flüge von Spatzen
suchten ihre Nester auf unter den Dachsparren der
Kirche. Auf dem Vorplatz des Pfarrhauses
zeigte sich jetzt ein blaubedrucktes Kleid, so umfangreich, daß es
die Türe ganz ausfüllte.
»O Unheil!«stammelte Albine, »er sieht hin, er sieht hin …
Hör mich an. Vorhin versprachst du mir Gehorsam. Ich flehe dich an,
wende dich ab, wende den Blick zum Garten … Warst du nicht
glücklich im Garten? Er hat mich dir gegeben. Welch selige Zeiten
erwarten uns dort, welch lange Glückseligkeit, jetzt, wo wir volles
Glück erfuhren im Schattendunkel …
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