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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Durch diese Lücke wird der
Tod eindringen, wenn du nicht fliehst, wenn du mich nicht
fortträgst. Sieh, die anderen, die ganze Welt wird sich zwischen
uns drängen. So allein waren wir, so versteckt und von den Bäumen
behütet! Der Garten bedeutet unsere Liebe. Sieh den Garten an, ich
bitte dich auf den Knien darum.«
    Sergius durchlief ein Zittern. Die Erinnerung kam wieder, die
Vergangenheit stand auf. Aus der Ferne hörte er dörfliches Leben
herübertönen. Diese Bauern, Frauen, Kinder, das war der von seinem
Olivenland heimkehrende Dorfschulze Bambousse, der im Geist die
nächste Ernte berechnete. Das waren die Brichets, der Mann mit
schleppendem Gang, die Frau unter kummervollem Gestöhn; das war
Rosalie, die sich hinter einer Mauer vom langen Fortunat abküssen
ließ. Er erkannte auch die beiden Ausreißer auf dem Friedhof, den
spitzbübischen Vinzenz und die freche Katharina, die fliegende
Heuschrecken belauerten zwischen den Gräbern. Sie hatten sogar
Packan, den schwarzen Hund, bei sich, der ihnen half, im dürren
Kraut wühlte und jeden Spalt der alten Steinplatten
durchschnüffelte. Unterm Dachgeziegel der Kirche
zankten sich die Spatzen vor dem
Schlafengehen; die frechsten flogen wieder hinunter und drangen
flügelschlagend in die Kirche ein durch zerbrochene
Fensterscheiben, so daß er sich, als er sie sah, ihres fröhlichen
Lärmens erinnerte auf den Stufen vor der Kanzel, wo es immer
Brotkrumen für sie gegeben hatte. Die Teufin, im blaukattunenen
Kleid, auf der Schwelle des Pfarrhauses, schien noch dicker
geworden zu sein; sie drehte den Kopf lächelnd Desiderata zu, die
voller Heiterkeit vom Wirtschaftshof kam, gefolgt von einem ganzen
Troß Getiers. Dann verschwanden beide.
    Sergius streckte verzweifelnd die Arme aus.
    »Es ist zu spät,« flüsterte Albine, und warf sich hin, zwischen
verschnittenes Dornengerank. »Jetzt wirst du mich niemals mehr
lieben wie vordem.« Sie schluchzte. Er horchte angespannt und
wartete, daß eine Stimme ihn gänzlich erwecken sollte.
    Die Glocke bewegte sich leise. Und langsam durch die schläfrigen
Abendlüfte drang das dreimalige Läuten des Angelus herauf zum
Paradeis. Silberhell klang es in sanft regelmäßigem Rufe. Wie ein
lebendiges Wesen war die Glocke jetzt.
    »Mein Gott!« rief Sergius und brach in die Knie, wie gefällt vom
leisen Glockenwehen.
    Er neigte sich tief, das dreimalige Angelusläuten glitt ihm über
den Nacken, hallte ihm bis ins Herz. Die Glocke tönte jetzt lauter,
unerbittlich klang sie neuerdings an während einiger Minuten, die
ihm wie Jahre scheinen wollten. Sie beschwor sein ganzes
vergangenes Leben herauf, seine fromme Kindheit, die Freuden seines
Seminarlebens, die ersten Messen im verbrannten Tal des Artaud, wo
er sich Einsamkeit der Heiligen erträumt
hatte, immer hatte sie so zu ihm geredet. Der leisesten
Schwingungen dieser Kirchenstimmen vermochte er sich zu erinnern.
Hatte sie doch ohne Unterlaß in seinen Ohren getönt, wie ernste,
sanfte Mutterstimme. Warum vernahm er sie nicht mehr? Vormals
schien sie ihm das Kommen Marias zu versprechen. War es Maria, die
ihn tief in grüne Seligkeit geleitet hatte, wohin die Glockenstimme
nicht dringen konnte? Niemals hätte er sie vergessen können, wäre
die Glocke nicht verstummt. Und wie er sich tiefer beugte,
schreckte ihn das weiche Streichen seines Bartes auf seinen
gefalteten Händen. Dies lange seidige Haar war ihm fremd, es lieh
ihm tierhafte Schönheit. Er riß an seinem Bart, griff sich mit
beiden Händen in die Haare, suchte nach der kahlen Stelle der
Tonsur, aber sein Haar war mächtig gewachsen, die Tonsur
unauffindbar im Strudel männlich starken Gelocks, das von der
Stirne nackenwärts sich bäumte. Wild schien ihm seine ehemals
glatte Haut, die ein Flaum überdeckte.
    »Du hattest recht,« sagte er und blickte verzweiflungsvoll nach
Albine, »wir haben gesündigt und verdienen ein schreckliches
Strafgericht … «
    »Ich beruhigte dich, weil ich die Warnung nicht vernahm, die
durch die Zweige klang.«
    Albine versuchte, ihn wieder zu umarmen und flüsterte:
    »Steh auf, fliehen wir zusammen, vielleicht ist es noch Zeit,
und wir können uns noch lieben.« »Nein, ich habe die Kraft nicht
mehr dazu, der kleinste Kieselstein brächte mich zu Fall … Hör
zu, ich bin mir selbst zum Greuel. Ich weiß nicht mehr, wer ich
bin. Ich habe mich umgebracht und mein eigenes Blut näßt mir die
Hände. Verleitest du mich zur Flucht,
nichts würde dir aus meinen Augen kommen als

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