Die Sünde des Abbé Mouret
denn von dir muß ich erst wieder gehen
lernen … Es ist mir zumut in dieser Stunde, als könnte ich
keinen Schritt mehr tun.«
Dann wurde sie sehr ernst.
»Immer mußt du mich liebhaben, dann werde ich dir gehorsam sein,
mich bemühen um deine Freuden, alles aufgeben für dich, sogar meine
geheimsten Wünsche.«
Sergius' Kräfte verdoppelten sich beim Anhören der demütig
zärtlichen Stimme. Er befragte sie:
»Warum zitterst du? Was dürfte ich dir zum
Vorwurf machen?«
Sie gab keine Antwort und betrachtete fast traurig den Baum, das
zerwühlte Gras und Laub.
»Du großes Kind,« sprach er weiter, »du hast wohl Angst, daß ich
für all dein Geben dir zürnen könnte? Was wir taten, kann doch
keine Sünde sein; wir haben in Liebe einander angehört, wie wir
eben einander angehören mußten. Ich möchte die Spuren deiner Füße
küssen auf dem Weg hierher, genau wie ich deine Lippen küsse, die
mich verführten, wie ich deine Brüste küsse, die die Heilung
vollenden, einstmals begonnen, weißt du noch? Von deinen kühlen
kleinen Händen.«
Sie schüttelte den Kopf, wandte die Augen und vermied es, den
Baum noch länger anzusehen.
»Führ' mich fort,« sagte sie mit leiser Stimme. Sergius
geleitete sie langsam weiter. Dankbar umfaßte er mit einem großen
Blick noch einmal den Baum. Schweigen schattete über der Lichtung;
wie Zusammenschauern einer beim Entkleiden überraschten Frau
durchrieselte es die Blätter. Als sie beim Heraustreten aus dichtem
Laub die Sonne wieder sahen, deren Glanz noch einen Himmelsstreif
überhellte, beruhigten sie sich. Zumal Sergius, dem jedes Wesen,
jede Pflanze neuen Sinn gewonnen zu haben schien. Um ihn neigte
sich alles und huldigte seiner Liebe, der Garten war nur noch
Hintergrund für Albines Schönheit, und im Liebeskuß seiner
Beherrscher hatte er an Schönheit und Größe gewonnen.
Albines Freude aber blieb getrübt von Unruhe. In plötzlichem
Erbeben brach ihr Lachen ab, und sie lauschte.
»Was ist dir?« fragte Sergius.
»Nichts,« erwiderte sie und sah scheu hinter
sich. Sie wußten nicht, in welch verstecktem Teil des Gartens sie
sich befanden. Für gewöhnlich war es ihnen Anlaß zu Lustigkeit,
wenn sie nicht wußten, wohin die Laune sie geführt hatte. Diesmal
aber überkam sie Unruhe und eigenartiges Unbehagen. Nach und nach
beschleunigten sie ihre Schritte. Immer tiefer gerieten sie in ein
Wirrsal von Gebüschen.
»Hast du nichts gehört?« sagte Albine ängstlich und blieb außer
Atem stehen.
Und als er, angesteckt von ihrer offensichtlichen Beklommenheit,
lauschte, fuhr sie fort:
»Überall in den Büschen höre ich Stimmen, wie von spottenden
Leuten … Da, klang es nicht wie Lachen aus jenem Baum? Und
durch das Gras dort drüben ging es wie Geflüster, als mein Kleid
darüber streifte.«
»Nein, nein,« sagte er beruhigend, »der Garten liebt uns. Fände
er Worte, so wäre es nicht, um dich zu schrecken. Hast du das
liebevolle Geflüster des Laubes vergessen? … Deine Nerven sind
erregt, Einbildungen quälen dich.«
Sie aber schüttelte den Kopf und flüsterte:
»Ich weiß wohl, der Garten ist unser Freund … Dann bedeutet
es, daß jemand eingedrungen ist. Glaub' mir, ich höre jemanden. Zu
sehr durchbebt es mich. Ach, ich bitte dich inständig, führe mich
fort, verstecke mich.«
Sie nahmen ihre Wanderung wieder auf, durchspähten das Unterholz
und vermeinten hinter jedem Baumstamm Gesichter auftauchen zu
sehen. Albine ließ sich nicht ausreden, Geräusch von Schritten käme
ihnen nach von ferne.
»Verstecken wir uns, verstecken wir uns,«
wiederholte sie in flehendem Ton. Sie
errötete. Scham begann sich in ihr zu regen, eine Scham, die sie
wie Krankheit befiel und die Unschuld ihrer bisher von keiner
Blutwallung getrübten Haut befleckte. Es erschreckte Sergius, sie
so in errötender Verwirrung zu sehen, mit schamhaften Wangen und
tränenvollem Blick. Er wollte sie an sich ziehen, sie mit
Liebkosungen beruhigen, sie aber wehrte ihm, bedeutete mit
verzweiflungsvoller Gebärde, sie seien nicht mehr allein. Noch
tiefer errötete sie, als ihr Blick sich senkte auf ihr gelöstes
Kleid, das sie kaum mehr verhüllte, Arme, Brüste und Hals frei
ließ. Ihre Schultern bebten unter verwirrten Haarsträhnen. Sie
wollte einen Versuch machen, ihr Haar aufzustecken, fürchtete sich
aber davor, ihren Nacken zu entblößen. Eine Astberührung, das
leichte Anstreifen eines Insektenflügels, der mindeste Windhauch
ließen sie jetzt erbeben, wie bei
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