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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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hinterlassen blutige Spuren im Sand. Eine furchtbare
Mattigkeit zieht ihn nieder, denn auf den Schultern trägt er die
Sünden der Welt… «
    Albine hatte einen Blick über Jesus gleiten lassen, der in
blauem Rock hingestreckt unter dem übermäßig großen Kreuz lag,
dessen Schwärze auslief und das Gold seines Heiligenscheines
trübte. Dann sagte sie mit verlorenem Blick:
    »Oh, die Wiesenwege! … Hast du das Gedächtnis denn
verloren, Sergius? Erinnerst du dich nicht mehr der mit seinem Gras
bestandenen Wege, die sich die Wiesen entlang ziehen, in den großen
Seen aus Grün? An jenem Nachmittag, von dem ich reden will,
beabsichtigten wir nicht länger als eine
Stunde auszugehen, gingen dann aber immer weiter, immer weiter
geradeaus, so daß die aufblinkenden Sterne uns immer noch unterwegs
fanden. So weich breitete sich dieser endlose seidengeschmeidige
Teppich, unsere Füße stießen an keinen Stein. Wie ein grünes Meer
dehnte es sich, dessen Wasserschäume uns wiegten. Und wir wußten
genau, wohin uns diese weichen ziellosen Wege führten. Sie führten
uns hinein in unsere Liebe, in die Freude, Hand in Hand zu leben,
in die Gesichertheit eines glücklichen Tages … Unermüdet
kehrten wir heim. Leichtfüßiger als beim Aufbruch fühltest du dich,
weil du mir deine Liebkosungen geschenkt hattest und ich sie dir
nicht alle zurückgeben konnte.«
    Mit erregt zitternden Händen wies der Abbé Mouret die letzten
Bilder. Er stammelte:
    »Jesus wird ans Kreuz geschlagen. Hammerschläge drängen die
Nägel in seine wunden Hände. Ein einziger Nagel muß genügen für die
Füße, deren Knochen knacken. Und während sein Fleisch sich in
Krämpfen windet, lächelt er mit zum Himmel gewandtem Blick …
Jesus findet sich zwischen den beiden Schächern. Durch das Gewicht
seines Körpers werden ihm die Wunden entsetzlich weit aufgerissen,
seiner Stirne, seinen Gliedern enttropft Blutschweiß. Die beiden
Schächer beschimpfen ihn, die Vorübergehenden spotten seiner, die
Soldaten teilen seine Kleider. Und Finsternis breitet sich, die
Sonne dunkelt… Jesus stirbt am Kreuz. Ein lauter Schrei entfährt
ihm, er gibt den Geist auf. O schauervoller Tod! Der Vorhang des
Tempels reißt mitten durch, von oben bis unten, die Erde erzittert,
die Felsen bersten, die Gräber tun sich auf… «
    Er war auf die Knie gefallen, Schluchzen
brach seine Stimme, sein Blick richtete sich auf die drei Kreuze
des Kalvarienberges, an denen sich fahle Leiber Gemarterter wanden,
in der rohen Darstellung schauerlich entfleischt. Albine trat vor
die Bilder, damit er sie nicht mehr sehen sollte.
    »An einem langen Dämmerabend hatte ich meinen Kopf auf deine
Knie gebettet. Im Wald war es, am Ende jener großen Kastanienallee,
die von den letzten Strahlen des Sonnenuntergangs durchflochten
war. O welch zärtlicher Abschied! Die Sonne zauderte uns zu Füßen
mit einem Freudenlächeln und sagte auf Wiedersehen. Langsam
erblaßte der Himmel. Lachend erzählte ich dir, er zöge sein blaues
Gewand aus und lege sein schwarzes, goldenbeblumtes an, um sich zur
Abendgesellschaft zu schmücken. Du aber sahst nach den Schatten,
konntest das Alleinsein nicht erwarten, ohne Sonnenstörung. Und
Nacht sank nicht, sondern sanfte Verschwiegenheit, verschleierte
Zärtlichkeit, ein Geheimnisweben wie in sehr düsteren
blätterüberhangenen Wegen, die man betritt, um sich eine kleine
Weile zu verstecken, sicher am anderen Ende die helle
Tagesfreudigkeit wiederzufinden. Das ruhig-blasse Verdämmern jenes
Abends schien einen schönen Morgen zu versprechen … Ich tat,
als schliefe ich ein, da ich sah, daß der Tag dir nicht schnell
genug verging. Jetzt kann ich es ja sagen, ich schlief nicht, als
du mich auf die Augen küßtest. Ich genoß deine Küsse. Ich mußte an
mich halten, um nicht aufzulachen. Du trankst meinen regelmäßigen
Atem. Als es dann Nacht wurde, war es wie ein langes Wiegenlied.
Die Bäume, siehst du, schliefen ebensowenig als ich … In der
Nacht, du weißt es wohl noch, dufteten die Blumen stärker.«
    Und da er immer noch kniete mit
tränenüberströmtem Antlitz, griff sie ihn um die Handgelenke und
zog ihn in die Höhe, leidenschaftlich fortfahrend:
    »Oh, wenn du wüßtest, was ich weiß, würdest du mich anflehen,
dich mit fortzunehmen, du würdest fest deine Arme um meinen Hals
schlingen, damit ich nicht ohne dich fortgehen könnte… Gestern
wollte ich den Garten wieder sehen. Er ist noch größer, noch tiefer
und unergründlicher als wir

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