Die Sünde des Abbé Mouret
schrecklichen Blick zu und schüttelte die
Fäuste:
»Sie haben sie gesehen? Sie haben sie hereingelassen? Sie hätten
mich rufen sollen, dann hätten wir sie zusammen an den Füßen
aufgehängt in Ihrer Küche.«
Da begehrte sie auf, hielt aber an sich, um den Abbé Mouret
nicht aufzuwecken.
»Das muß ich sagen,« überstürzte sie sich, »kommen Sie mir nur.
Sie! Versuchen Sie es doch, jemand in meiner Küche aufzuhängen!…
Natürlich hab' ich sie gesehen. Ja, ich hab' sogar den Rücken
gekehrt, als sie nach der Unterweisung zum Herrn Pfarrer in die
Kirche gegangen ist. Was sie dort getrieben haben, geht mich nichts
an. Oder ist das meine Sache? Mußte ich denn' etwa nicht meine Bohnen auf's Feuer stellen? …
Wenn jemand das Mädel nicht ausstehen kann, so bin ich es, in dem
Augenblick aber, wo die Gesundheit des Herrn Pfarrers auf dem Spiel
steht… Mag sie kommen zu jeder Tag- und Nachtzeit. Einsperren würd'
ich sie zusammen, wenn sie's wollten.«
»Wenn Sie das tun, Teusin,« sagte der Bruder in kalter Wut,
»erwürge ich Sie.«
Sie schlug eine Lache auf und duzte ihn nun ihrerseits.
»Red' doch keinen Unsinn, Kleiner! Du weißt ja nur zu gut, daß
du mit Frauen genau so wenig anfangen kannst wie der Esel mit dem
Vaterunser. Versuch es nur, mich zu erdrosseln, dann wirst du
sehen, was ich mit dir tue. Sei brav, wir wollen die Partie zu Ende
spielen. Sieh mal einer an, noch ein König!«
Mit der Karte in erhobener Hand, fuhr er fort zu schelten.
»Sie muß auf einem Weg gekommen sein, den nur der Teufel kennt,
sonst hätte sie mir in die Arme laufen müssen. Gehe ich doch alle
Nachmittage herauf zum Paradeis und halte Wache. Finde ich sie
einmal zusammen, lasse ich die Dirne Bekanntschaft machen mit
meinem Haselstecken, eigens für sie hab' ich ihn mir
geschnitten … In Zukunft werde ich auch auf die Kirche
aufpassen.«
Er spielte aus und ließ sich einen Buben von der Teusin nehmen,
dann warf er sich in seinen Stuhl zurück und fand sein lautes
Lachen wieder. Ernstlich ärgern konnte er sich nicht an diesem
Abend, er brummte:
»Wenn sie ihn auch erwischt hat, deshalb ist sie trotzdem auf
die Nase gefallen. Das muß ich Ihnen doch noch erzählen, Teusin.
Sie wissen, es regnete. Ich stand an der Schultüre, als ich sie von der Kirche herankommen
sah. In ihrem stolzen Gehabe hielt sie sich ganz gerade, trotz des
Platzregens. Und dann, hast du nicht gesehen, ist sie der Länge
nach hingefallen, als sie auf der Straße ankam, die Erde muß da
wohl schlüpferig gewesen sein. Gelacht hab' ich, gelacht! Ich hab'
in die Hände geklascht! Als sie wieder aufrecht stand, blutete sie
am Handgelenk. Acht Tage lang werde ich mich darüber freuen. Immer,
wenn ich sie wieder so vor mir sehe an der Erde, kitzelt es mich im
Hals und im Bauch, und ich muß laut heraus lachen.«
Und sich jetzt ganz seinem Spiel widmend, blies er die Wangen
auf und sang das »
De Profundis
«. Und dann wieder von vorne
an. Die Partie ging zu Ende bei diesen Klagegesängen, die er für
Augenblicke anschwellen ließ, wie um sie besser auszukosten. Er
verlor, ärgerte sich aber nicht im geringsten darüber. Als die
Teusin ihn herausließ, nachdem sie den Abbé Mouret geweckt hatte,
hörte man, wie er, in die Nacht hineinschreitend, mit Jubellauten
den letzten Vers des Psalmes anstimmte: »
Et ipse redimet Israel
ex omnibus iniquitatibus ejus
«.
Kapitel 11
Bleiern schlief der Abbé Mouret. Als er die Augen aufschlug,
später als gewöhnlich, fand er sein Gesicht und seine Hände in
Tränen gebadet; er hatte die ganze Nacht im Schlaf geweint. Er
sagte seine Messe an diesem Morgen nicht, trotz seiner langen Ruhe
hatte die Müdigkeit vom vergangenen Abend derartig zugenommen,
daß er bis zum Mittag in seinem Zimmer
blieb und auf einem Stuhl am Fußende des Bettes saß. Der Zustand
von Betäubung, dem er mehr und mehr verfiel, nahm ihm sogar die
Empfindung des Leidens. Eine große Leere war in ihm, er blieb
entlastet, vernichtet, verzehrt von sich selbst. Das Lesen seines
Breviers kostete ihm Überwindung; das Latein der Verse kam ihm wie
eine Barbarensprache vor, deren Worte er nicht einmal mehr zu
buchstabieren vermochte. Dann schleuderte er das Buch aufs Bett und
verbrachte Stunden damit, durch das geöffnete Fenster die Aussicht
zu betrachten, ohne die Kraft aufbringen zu können, bis zum Fenster
zu gehen und sich auf das Fensterbrett zu stützen. In der Ferne
konnte er die weiße Mauer des Paradeis erblicken, als
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