Die Sünde des Abbé Mouret
Blatt Papier, Feder und Tinte lagen
gebrauchsbereit auf dem Tisch seines Zimmers. Und am dritten Tag
ging er eilig davon, ohne den Brief geschrieben zu haben. Plötzlich
griff er zu seinem Hut und schlug den Weg zum Paradeis ein, dumpf,
wie besessen und sich bescheidend, ging er dorthin, wie zu einer
unangenehmen, unumgänglichen Pflicht. Albines Bild war noch mehr
verblaßt; er dachte nicht mehr an sie, sondern folgte früheren,
jetzt erstorbenen Willenstrieben, deren losgelöstes Drängen
vorhielt im tiefen Schweigen seines Wesens.
Auf dem Wege versuchte er nicht einmal, sich zu verstecken. Am
Ende des Dorfes blieb er einen Augenblick stehen, um mit Rosalie zu
sprechen, die ihm mitteilte, ihr Kind läge in Krämpfen; trotzdem
verzog sie den Mund zu dem ihr eigenen Lächeln. Dann wanderte er
zwischen dem Gestein geradeswegs der Mauerbresche zu. Aus
Gewohnheit hatte er sein Brevier eingesteckt. Da der Weg ihm endlos
vorkam und er sich langweilte, schlug er das Buch auf und las die
vorgeschriebenen Gebete. Als er es wieder unter den Arm
zurückschob, hatte er das Paradeis vergessen. Er ging so vor sich
hin und sann über das Meßgewand nach, das er zu kaufen gedachte,
zum Ersatz des Meßkleides aus Goldstoff, das sich in seine
Bestandteile aufzulösen begann. Seit einiger Zeit legte er etwas
Geld zurück und berechnete, daß in sieben Monaten sich eine
ausreichende Summe angesammelt haben würde. Als er auf der Höhe
ankam, klang von ferne das Lied eines Bauern herüber, das ihm eine
ehemals im Seminar erlernte Hymne ins
Gedächtnis zurückrief. Vergeblich grübelte er über die ersten
Strophen des Liedes nach. Er ärgerte sich über sein schlechtes
Gedächtnis. Als sie ihm schließlich einfielen, war es ihm eine
sanfte Freude, halblaut die Worte vor sich hinzusingen, die ihm
eines nach dem anderen wieder auftauchten. Es war ein Lobgesang an
Maria. Er lächelte, als wehte ihm frischer Hauch seiner Jugend ins
Antlitz. Wie glücklich war er zu jener Zeit! Sicherlich würde er
auch jetzt noch glücklich werden können, er hatte sich nicht
verändert und erwünschte immer noch dieselbe Glückseligkeit
ungetrübten Friedens, einen Kirchenwinkel, dem sich seine Knie
einzeichneten, ein zurückgezogenes Leben, erhellt durch
heiter-kindliche Freuden. Mehr und mehr hob er die Stimme, sang das
Lied mit flötend hoher Stimme, da fand er sich plötzlich vor der
Mauerbresche.
Einen Augenblick war er erstaunt. Dann verging sein Lächeln, und
er murmelte still vor sich hin:
»Albine erwartet mich wohl. Die Sonne sinkt schon.« Aber als er
hinaufkletterte, um die Steine beiseite zu schieben, die den
Eingang versperrten, erschreckte ihn lautes Atmen. Er mußte
zurücksteigen, um ein Haar hätte er Bruder Archangias, der tief
schlafend dort am Boden lag, gerade ins Gesicht getreten. Beim
Bewachen des Eingangs zum Paradeis war er wohl in Schlaf gesunken.
Der Länge nach lag er quer über der Schwelle in schamlos gelöster
Stellung. Die hinter den Kopf geschobene rechte Hand hatte den
Stock aus Kirschbaumholz nicht fahrenlassen; sogar jetzt schien er
ihn noch zu schwingen wie ein flammendes Schwert. Und so schnarchte
er inmitten der Dornen, das Gesicht in der prallen Sonne, ohne sich
zu regen. Ein Schwarm von großen Fliegen
kreiste über seinem offenen Munde.
Der Abbé Mouret betrachtete ihn einen Augenblick. Er neidete ihm
diesen Schlaf eines Heiligen im Staub und wollte die Fliegen
vertreiben. Aber eigensinnig kamen sie immer wieder zurück und
klebten sich an die blauroten Lippen des Bruders, der von alledem
nichts bemerkte. Da stieg der Abbé über den großen Körper fort und
betrat das Paradeis.
Kapitel 12
Wenige Schritte hinter der Mauer kauerte Albine auf einer
Rasenmatte. Als sie Sergius' ansichtig wurde, stand sie auf.
»Du bist es!« schrie sie auf, über und über zitternd.
»Ja,« sagte er ruhig, »da bin ich.«
Sie warf sich an seinen Hals, küßte ihn aber nicht. An ihrem
bloßen Arm hatte sie die kalten Perlen des Priesterkragens gespürt.
Forschend sah sie ihn an, schon geängstigt, und begann wieder:
»Was hast du? Du hast mich nicht wie früher auf die Wangen
geküßt, weißt du, so, daß es klang … Geh, wenn du krank bist,
mache ich dich noch einmal gesund. Jetzt, wo du da bist, fängt
unser Glück wieder an. Alle Traurigkeit ist vorbei. Sieh, ich
lächle ja, lächle du doch auch.«
Und da er ernsthaft blieb:
»Auch ich hab' großen Kummer gehabt. Bin ich nicht noch ganz
blaß? Seit einer Woche
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