Die Sünde des Abbé Mouret
sagte er. »Es ist nicht
sündhaft, ein gutes Glas Wein zu trinken. Das erstemal, auf mein
Wort, daß ich mit einem Schwarzrock anstoße, ohne Sie beleidigen zu
wollen. Ihr Vorgänger, der bedauernswerte Abbé Caffin, lehnte es
ab, sich mit mir zu unterhalten … Angst hatte er.«
Und er lachte laut und redete weiter:
»Denken Sie sich, er versteifte sich darauf, mir die Existenz
Gottes beweisen zu wollen … Bei jedem Zusammentreffen legte
ich ihn herein. Sie können's mir glauben, mit hängenden Ohren
machte er sich aus dem Staub.«
»Wie, es gibt keinen Gott?« rief der Abbé
Mouret aus, sein Schweigen brechend.
»Oh, wie Sie wollen,« sagte höhnisch Jeanbernat. »Wir fangen
wieder von vorne an, wenn Ihnen das Spaß macht … Ich muß Sie
aber darauf aufmerksam machen, daß ich sehr beschlagen bin. Da oben
in einem der Zimmer sind einige tausend Bände, die beim Brand des
Paradeis gerettet wurden; alle Philosophen des achtzehnten
Jahrhunderts, ein Berg von Schriften über die Religion. Nette Dinge
habe ich aus denen gelernt. Seit zwanzig Jahren lese ich nichts
anderes … Wahrlich, Herr Pfarrer, Sie bekommen einen
gefährlichen Gegner.«
Er war aufgestanden, mit einer weiten Geste wies er über den
ganzen Horizont, Erde und Himmel und wiederholte feierlich:
»Nichts gibt es, nichts, nichts, nichts … wenn die Sonne
verlischt, ist's aus.«
Der Doktor Pascal hatte den Abbé Mouret leise mit dem Ellbogen
angestoßen. Er kniff die Augen zusammen und beobachtete den Greis
mit Wißbegierde, nickte beifällig mit dem Kopf, um ihn zum Reden zu
ermuntern.
»Vater Jeanbernat, so sind Sie also ein Materialist?« erkundigte
er sich.
»I, nichts bin ich als ein armer Mann,« gab der Alte zur Antwort
und setzte seine Pfeife wieder in Brand. »Als der Graf von
Corbierre, dessen Milchbruder ich war, durch einen Sturz vom Pferd
ums Leben kam, gaben mir die Kinder diesen Dornröschenwald zu
hüten, um mich los zu sein. Ich war damals sechzig Jahre alt und
dachte, das Ende sei gekommen. Aber der Tod hat mich
vergessen. Und ich mußte mich
zurechtfinden … sehen Sie, wenn man ganz alleine lebt, kommt
man schließlich dazu, die Dinge sonderbar zu sehen. Die Bäume sind
keine Bäume mehr, die Erde nimmt das Gehabe einer lebendigen Person
an, die Steine erzählen Ihnen Geschichten, mit einem Wort:
allerhand Dummheiten. Geheimnisse weiß ich, die Sie umwerfen
würden. Was soll man denn auch anfangen in dieser verteufelten Öde?
Ich hab' in den Büchern studiert – das hat mir mehr Spaß gemacht
als die Jagd … Der Graf, der wie ein Heide fluchte, sagte
immer zu mir: Jeanbernat, mein Junge, ich rechne fest darauf, dich
in der Hölle wiederzusehen, damit du mir da unten dienst, wie du es
da oben getan hättest.«
Er machte wiederum die weite Bewegung über den Himmel hin und
sagte nochmals:
»Nichts gibt es … wenn Sie es wissen wollen … ein Witz
ist das Ganze.«
Der Doktor Pascal lachte.
»Ein guter Witz, auf alle Fälle,« sagte er, »Vater Jeanbernat,
ein Geheimniskrämer sind Sie. Ich habe Sie im Verdacht, weichherzig
zu sein trotz ihrer blasierten Mienen. Vorhin redeten Sie mit sehr
viel Zärtlichkeit über die Bäume und Steine.«
»Nein,« murmelte der Alte, »ich kann Ihnen die feste
Versicherung geben, daß es damit vorbei ist. Früher allerdings, als
ich Sie kennenlernte und mit Ihnen botanisieren ging, war ich dumm
genug, mancherlei Dinge zu lieben auf dieser lügnerischen großen
Erde. Es ist ein Glück, daß die Bücher mir das ausgetrieben
haben … ich wollte, mein Garten wäre kleiner; kaum zweimal im
Jahre geh ich auf die Straße. Sehen Sie die Bank. Da verbringe ich meine Tage und sehe zu, wie der Salat
ins Kraut schießt.«
»Und ihre Rundgänge im Park?« unterbrach ihn der Arzt.
»Im Park!« Sprach Jeanbernat mit einer ehrlichen Verwunderung
nach. »Seit mehr als zwölf Jahren hab' ich schon keinen Fuß mehr
hineingesetzt! Was soll ich denn auf dem Friedhof anfangen? Zu groß
ist er. Diese Bäume ohne Ende, mit Moos überall; blöd ist das,
zerhauene Figuren und Erdlöcher, in denen man sich bei jedem
Schritt den Hals brechen kann. Das letztemal, als ich hineinging,
war es so dunkel unter den Bäumen, die wilden Blumen rochen so
giftig, und es wehte so seltsam in den Alleen, daß mir fast bange
werden wollte. Und dann hab' ich mich hier eingeschlossen, damit
der Park nicht hereinkann … Ein Platz in der Sonne, drei Fuß
breit Gemüse zu meinen Füßen, eine hohe Hecke, die mir den
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