Die Sünde des Abbé Mouret
zur Antwort, man dürfe die Bäume am freien Wachstum
nicht hindern. Er ist, sagt er, für die natürliche Entwicklung der
Gemütsanlagen … Was liegt daran, sie sind beide höchst
merkwürdig … Ich komme nie in die Nähe, ohne ihnen einen
Besuch abzustatten.« Endlich kam der Wagen aus dem Hohlweg heraus.
Hier machte die Mauer des Paradeis eine Biegung, zog sich dann am
Hügeldamm unübersehbar hin. In dem Augenblick, als der Abbé Mouret
den Kopf drehte, um einen letzten Blick auf die graue Linie zu
werfen, deren strenge Unnahbarkeit zuletzt eine eigenartige
Gereiztheit in ihm hervorbrachte, ließ sich das Geräusch wild
geschüttelter Äste vernehmen; gleichzeitig sah es aus, als ob eine
Gruppe junger Birkenstämme die Vorbeikommenden begrüßen wollte von
der Mauerhöhe aus.
»Ich wüßt es wohl, daß ein Tier da drüben lief,« sagte der
Priester.
Ohne daß jemand zum Vorschein kam, ohne daß anderes sich gezeigt hätte als die immer wilder schaukelnden
Birkenstämme, erklang eine helle Stimme, die, von Lachen
unterbrochen, rief:
»Auf Wiedersehen, Doktor! Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer! …
Ich küsse den Baum, der Baum schüttelt meine Küsse über Sie.«
»Ach! Albine ist es!« sagte Doktor Pascal. »Sie wird im Trab
neben unserm Wagen hergelaufen sein. Keine Hecke ist zu hoch für
diese kleine Fee!«
Und er rief zurück:
»Auf Wiedersehen, Kleine! Du bist etwas zu groß für diese Art
Begrüßung.«
Lauter tönte das Lachen, die Birken beugten sich tiefer und
streuten Blätter weithin bis auf das Verdeck des Wagens.
»Ich bin so groß wie die Bäume; alle Blätter, die abfallen, sind
Küsse,« hob die Stimme wieder an. Die Entfernung löste sie
musikalisch auf und hüllte sie dergestalt in wehenden Atem des
Parks, daß es den Priester durchschauerte. Die Straße wurde besser.
An der Böschung tauchte das Artaud auf im Hintergrund der
verbrannten Ebene. Als der Wagen die Dorfstraße kreuzte, litt der
Abbé Mouret nicht, daß sein Onkel ihn an der Pfarre absetzte. Er
sprang zur Erde mit den Worten:
»Danke, nein, ich möchte lieber zu Fuß gehen; es wird mir
guttun.«
»Wie du willst,« sagte der Arzt endlich. Dann ihm die Hand
drückend:
»Wenn du mehr Pfarrkinder hättest wie diesen Tölpel von
Jeanbernat, brauchtest du keine häufigen Störungen zu befürchten.
Na, es war dein Wille. Und laß es dir gut
gehen. Laß mich holen, wenn das geringste fehlt, tags wie nachts.
Du weißt ja, ich behandle die ganze Familie umsonst … Leb'
wohl, mein Junge.«
Kapitel 9
Der Abbé Mouret fühlte sich wohler, als er sich wieder allein im
Straßenstaub fand. Die steinigen Felder versetzten ihn wieder in
seinen Traum von rauher Lebenshärte, von Verinnerlichung in der
Wüste. Im Hohlweg hatten die Bäume ihm beunruhigende Erfrischung
auf den Nacken geträuft; die glühende Sonne trocknete sie wieder
auf. Die mageren Mandelbäumchen und die dürftigen Kornfelder, die
kränklichen Weinstöcke zu beiden Seiten des Weges beruhigten ihn
und befreiten ihn von dem Unbehagen, das ihm der zu fruchtige Atem
des Paradeis verursacht hatte. Und inmitten der blendenden Helle,
die vom Himmel auf die kahle Erde herabströmte, warfen Jeanbernats
Lästerungen nicht mehr den leisesten Schatten. Lebhafte Freude
wallte in ihm auf, als er, den Kopf erhebend, am Himmel den
reglosen Streif der Einsiedlerzypresse wahrnahm, neben dem rosigen
Flecken des Kirchdaches.
Je weiter er aber vorwärts schritt, um so mehr überkam ihn eine
andere Unruhe. Die Teusin würde ihm einen netten Willkommen
bereiten, des abgestandenen Frühstücks wegen, das seit mehr als
zwei Stunden auf ihn wartete. Er stellte sich ihr böses Gesicht
vor, die Flut von Worten, die ihm bevorstand, das aufgeregte
Geschirrklappern, das er den ganzen Nachmittag würde anhören
müssen. Als er das Artaud durchschritten hatte, wurde seine Angst
so groß, daß er sich in einem Anfall von
Feigheit fragte, ob es nicht vorsichtiger sei, einen Umweg zu
machen und durch die Kirche das Haus zu betreten. Aber während er
noch mit sich zu Rate ging, erschien die Teusin in Person auf der
Schwelle des Pfarrhauses, mit verschobener Haube und hüftgestemmten
Armen.
»Ich glaube, ich habe mich verspätet,« stotterte er schon von
weitem.
Die Teusin wartete, bis sie ihn ganz nah vor sich hatte. Dann
sah sie ihm wütend zwischen die Augen, ohne ein Wort zu sagen,
drehte sich auf dem Absatz um und ging vor ihm her bis ins
Eßzimmer, unter dem Geklapper ihrer groben Sohlen
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