Die Sünde des Abbé Mouret
dem
länglichen, lebensglühenden Antlitz erschien ihm wie die
geheimnisvolle und beunruhigende Verkörperung dieses Waldes, die
ihm aufgetaucht war in Sonnenströmen.
»Ich habe ein Amselnest gefunden, wollen Sie es haben?« fragte
Albine den Arzt.
»Nein, danke schön,« gab dieser lachend zurück, »der Schwester
des Herrn Pfarrers müßtest du's geben; die liebt alle Tiere …
Auf Wiedersehen, Jeanbernat.«
Aber Albine stürzte sich auf den Pfarrer.
»Sie sind der Pfarrer von Artaud, nicht wahr? Sie haben eine
Schwester? Ich will sie besuchen … Nur dürfen Sie mir nicht
von Gott reden. Mein Onkel will es nicht.«
»Du langweilst uns, mach' dich fort,« sagte Jeanbernat
achselzuckend.
Mit einem Gemsensprung verschwand sie in
niederregnenden Blüten. Man hörte eine Tür schlagen, dann Gelächter
hinter dem Haus, klingendes Gelächter, das sich allmählich verlor,
wie entführt vom rasenden Lauf eines tollen Tieres, das auf den
Rasengründen dahinstürmte.
»Zu guter Letzt wird sie noch im Paradeis schlafen,« brummte der
Alte voller Gleichmut.
Und beim Herausbegleiten des Besuches:
»Doktor,« fing er wieder an, »wenn Sie mich eines Morgens tot
finden, tun Sie mir doch den Gefallen, und werfen Sie mich in die
Abfallgrube hinter meinen Gemüsebeeten. Guten Abend, meine
Herren.«
Er ließ eine Holzschranke herunterfallen, die die Hecke
verschloß. Das Haus stand wieder in glückhaft sonnigem
Mittagsfrieden, eingehüllt vom Gesumm der Hummeln, die den Efeu
umschwebten bis hinauf unters Dach.
Unterdessen fuhr der Wagen wieder durch den Hohlweg und entlang
an der endlosen Mauer des Paradeis. Schweigend hob der Abbé Mouret
die Augen, besah die großen Äste, die sich über die Mauer streckten
wie die Arme verborgener Riesen. Laute drangen aus dem Park,
Flügelschwirren, Blätterwehen, flüchtige Sprünge im brechenden
Gezweig, ein seufzendes Neigen junger Triebe, all das lebendige
Atmen, das die Gipfel eines Baumvolkes durchspielt. Manchmal bei
Vogelrufen, die einem menschlichen Lachen ähnelten, wandte der
Priester den Kopf wie beunruhigt.
»Ein komisches Mädel!« sagte der Onkel Pascal, die Zügel etwas
lockerer haltend. »Neun Jahre war sie, als sie diesem alten Heiden
hereinschneite. Einer seiner Brüder richtete sich zugrunde; ich
vergesse, mit was. Die Kleine war irgendwo
in Pension, als sich der Vater das Leben nahm. Eine kleine Dame war
sie, schon gelehrt und belesen; sie stickte, sprach Sprachen und
bearbeitete Klaviere. Und voller Koketterie! Bei ihrem Kommen hab'
ich sie gesehen: durchbrochene Strümpfe, gestickte Röcke, Spitzen,
Rüschen und Krausen, Falbeln ohne Ende. Na! Die Rüschen haben nicht
lange gedauert!«
Er lachte auf. Ein großer Stein brachte den Wagen fast zum
Umkippen.
»Ich werde noch ein Rad verlieren auf diesem Lotterweg! Halte
dich fest, mein Junge.«
Die Mauer war immer noch nicht zu Ende. Der Priester
lauschte.
»Du kannst dir denken,« fing der Doktor wieder an, »das Paradeis
mit seiner Sonne, seinen Kieswegen und Dornen vernichtete jeden Tag
eine Robe. In kürzester Zeit war es mit den schönen Kleidern der
Kleinen vorbei. Sie war nackt und bloß – jetzt zieht sie sich an
wie eine Wilde. Heute ging es noch an. Es kommt aber vor, daß sie
nichts an hat als Schuh und Hemd … Hast du es gehört? Ihr
gehört das Paradeis. Am nächsten Tag schon nach ihrer Ankunft hat
sie davon Besitz ergriffen. Dort verbringt sie ihre Tage, springt
aus dem Fenster, wenn Jeanbernat die Türe zuschließt, geht auf und
davon und versteckt sich, wer weiß wo, in einem Versteck, von dem
nur sie weiß … Nett muß sie hier hausen, in dieser
Wüstenei.«
»Hören Sie nichts, Onkel?« unterbrach ihn der Abbé Mouret. »Wie
der Lauf eines Tieres klingt es hinter der Mauer.«
Der Onkel Pascal horchte.
»Nein,« sagte er nach einer Pause, »es ist
das Rollen des Wagens, das widerhallt von den Steinen … das
kannst du mir glauben, Klavier spielt sie nicht mehr, die
Kleine … mir scheint sogar, sie hat das Lesen vergessen.
Stelle dir vor eine junge Dame, zurückverfallen in den Zustand
einer Vagabundin, zum Vergnügen losgelassen auf einer einsamen
Insel. Von früher ist ihr nichts geblieben, als das klug
verführerische Lächeln (wenn ihr daran liegt … ). Laß dir
sagen, wenn du je ein junges Mädchen zu erziehen hast, rat ich dir,
vertrau' sie nicht Jeanbernat an. Er läßt die Natur ganz ungebunden
walten. Als ich einmal den Versuch machte, über Albine zu reden,
gab er mir
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