Die Sünde des Abbé Mouret
oder lasen zu zwei und zwei
im kleinen Stundenbuch, dem freiwilligen Brevier junger
Seminaristen.
Der Abbé Monret lächelte und fachte die Glut an. In diesen
Vergangenheiten war nichts zu finden als große Reinheit,
vollkommener Gehorsam. Er war eine Lilie, deren Duft seine Lehrer
entzückte. Keiner schlechten Handlung konnte er sich entsinnen.
Niemals hatte er die gänzliche Freiheit der Spaziergänge dazu
benutzt, um hinter Hecken zu rauchen oder eilends irgendwo mit
einem Freunde Bier zu trinken. Niemals versteckte er Romane unter
seiner Matratze oder verbarg tief unten im Nachttisch
Anisettflaschen. Lange Zeit hatte er nichts geahnt von all der
Sündhaftigkeit, die ihn umgab, von den Hühnchen und Kuchen, die in
der Fastenzeit eingeschmuggelt wurden, den verbotenen Büchern, die
von den Bedienern besorgt wurden, abscheulichen
Flüsterunterhaltungen in gewissen Hofwinkeln. Heiße Tränen hatte er
geweint an dem Tage, da er entdeckte, wie
wenige seiner Kameraden Gott liebten um Gottes willen. Bauernsöhne
gab es, die geistlich wurden, aus Angst vor der Militäraushebung,
Faulpelze, die sich ein nichtstuerisches Dasein erträumten.
Ehrgeizige, die schon jetzt der Gedanke an Krummstab und Mitra
nicht ruhen ließ; aber als er diesen Schmutz am Altar auffand,
hatte er sich ganz auf sich selbst zurückgezogen, sich immer mehr
noch Gott hingegeben, um die Vernachlässigungen anderer wieder
gutzumachen.
Eines Tages zwar, fiel dem Abbé ein, hatte er beim
Schulunterricht mit übergeschlagenen Beinen gesessen. Als der
Lehrer ihn darob tadelte, war er sehr rot geworden, als wäre er
wirklich bei einer Unanständigkeit ertappt worden. Er war einer der
besten Schüler, gab keine Widerreden, lernte alles auswendig. Er
bewies das Sein und die Ewigkeit Gottes mit Gründen, die er aus der
Heiligen Schrift gewann, aus der Lehre der Kirchenväter, aus dem
allumfassenden Übereinstimmen des Weltkreises. Die Schlüsse dieser
Art erfüllten ihn mit einer unerschütterlichen Sicherheit. Während
der ersten Jahre seiner philosophischen Studien folgte er mit
solchem Eifer der Unterweisung in Logik, daß sein Lehrer ihm
Einhalt geboten hatte und ihm einschärfte, daß die Gelehrtesten
nicht die Gottgefälligsten sind. Von seinem zweiten Lehrjahre an
unterzog er sich dann dem Studium der Metaphysik, wie einer
vorgeschriebenen Übung, die nur eine untergeordnete Rolle innehatte
im Pflichtenlauf des Tages. Er begann die Wissenschaft zu
verachten; unwissend wollte er bleiben, um sich die Glaubenseinfalt
zu bewahren. Später, in der Zeit theologischer Unterweisung, nahm
er nur aus Gehorsam teil an den Unterweisungen überdie Kirchengeschichte von Rorbacher; er drang vor bis
zu den Argumenten Goussets, bis zu der theologischen Lehre
Bouviers, wagte sich aber nicht an Bellarmin, Liguori, Suarez, an
den heiligen Thomas d'Aquin. Einzig die Heilige Schrift begeisterte
ihn. Dort fand er das erwünschte Wissen, die Geschichte
unermeßlicher Liebe, die allen gutwilligen Menschen der einzige
genügende Unterricht sein müßte. Er nahm die Bestätigungen seiner
Lehrer an; durch sie ließ er sich der Sorge der Nachprüfung
überheben, benötigte nichts von all dem Wortplunder, um zu lieben,
und beschuldigte die Bücher, dem Gebet die Zeit zu kürzen. Es war
ihm sogar gelungen, seine Schuljahre zu vergessen. Er wußte nichts
mehr, nichts blieb ihm als Unschuld, als Katechismus lallende
Kindlichkeit.
Schritt für Schritt ging es zum Priestertum. Hier drängten sich
Erinnerungen, lebendig noch durchpulst von himmlischer
Fröhlichkeit. Mit jedem Jahr kam er näher zu Gott. Die Ferien
verbrachte er in Zucht bei einem Onkel, beichtete alltäglich,
kommunizierte zweimal in der Woche. Er legte sich Fasten auf, auf
dem Boden seines Koffers verbarg er eine Dose mit grobem Salz;
darauf lag er mit den bloßen Knien stundenlang. Die Erholungspausen
verblieb er in der Kapelle oder begab sich hinauf in das Zimmer
eines der Vorsteher, der ihm fromme anekdotische
Außerordentlichkeiten erzählte. Als dann das Fest der Heiligen
Dreifaltigkeit herannahte, wurde er über alle Maßen belohnt,
überströmt von Rührungen, wie sie die Seminare an Vorabenden der
Einkleidungen erfüllen. Es war das große Fest, der Himmel tat sich
auf, und die Auserwählten erklommen eine höhere Stufe. Vierzehn
Tage vorher lebte er von Wasser und Brot. Er schloß die Vorhänge vor seinen Fenstern, um den Tag nicht
einmal mehr zu sehen, warf sich nieder in der Finsternis und flehte
zu Jesus
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