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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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aufglänzten, ahnte er die
Sonne, das genügte ihm, um zu gesunden. Er lauschte einem starken
Blätterrauschen in der Ferne; der grünliche Schatten eines deutlich
sich abzeichnenden großen Zweiges am rechten Fenster ließ ihn
unruhig träumen von jenem Wald, dem er so nah sich wußte.
    »Willst du, daß ich die Vorhänge aufziehe?«
fragte Albine, die das beharrliche Betrachten falsch deutete.
    »Nein, nein,« beeilte er sich zu erwidern.
    »Es ist sehr schön draußen, du könntest Sonne und Bäume
sehen.«
    »Nein, um alles nicht… Nichts von draußen soll zu mir
hereinkommen. Schon dieser Zweig dort ermüdet mich mit seinem zu
lebhaften Auf und Nieder … Laß mir deine Hand, ich will
schlafen. Ganz weiß ist mir zumut … so ist es gut… «
    Und vertrauensvoll schlief er ein, behütet von Albine, die über
sein Antlitz hauchte, um den Schlaf ihm zu erfrischen.

Kapitel 2
     
    Am nächsten Tag war es vorbei mit dem schönen Wetter, es
regnete. Sergius, neuerdings fiebernd, verbrachte einen
Schmerzenstag, verzweiflungsvoll irrten seine Blicke über die
Vorhänge, die nur ungewiß unterirdischen Schein einließen,
aschengrau. Er vermochte den Stand der Sonne nicht mehr zu erraten,
und suchte nach dem Schatten, den er früher gefürchtet, nach jenem
hochgestreckten Zweig, der ihm jetzt, ertrunken in bleichen
Regenstürzen, den Wald mitgerissen zu haben schien im Entschwinden.
Gegen Abend, im leichten Fieberdelirium, rief er Albine schluchzend
zu, die Sonne sei gestorben, er höre, wie der ganze Himmel, die
ganze Erde den Tod der Sonne beweine. Wie ein Kind mußte sie ihn
trösten, ihm die Sonne versprechen, ihm versichern, daß sie
wiederkäme, daß sie sie ihm schenken wolle. Aber auch die Pflanzen
beklagte er. Die Keime litten sicher in
der Erde, sehnten sich ans Tageslicht zu steigen; sicher wären sie
von den gleichen Schreckbildern verfolgt wie er, und träumten, sie
kröchen in unterirdischen Gewölben, würden aufgehalten von
Erdstürzen und kämpften wild, um ins Sonnenlicht zu gelangen. Und
mit leiserer Stimme klagte er weiter, der Winter sei eine
Erbkrankheit, er selbst müsse sterben, zu gleicher Zeit als die
Erde, brächte der Frühling ihnen beiden keine Heilung.
    Drei Tage noch blieb das Wetter abscheulich. Sturzbäche
überschütteten die Bäume, rauschend, wie ein Ufer überschäumender
Fluß. Windstöße heulten auf und prallten an die Fensterscheiben mit
der Erbitterung aufgepeitschter Wogen. Sergius hatte gewünscht,
Albine möchte die Läden fest verschließen. Das Lampenlicht vertrieb
die Trübseligkeit der fahlschimmernden Vorhänge und ließ ihn das
Grau des Himmels vergessen, das durch die kleinsten Spalten zu ihm
dringen wollte, gleich erstickendem Staub. Er ließ sich in die
Kissen zurückfallen, seine Arme waren abgezehrt, das Antlitz
bleich; je mehr die Erde litt, um so schwächer wurde er.
    In manchen Stunden tintenhafter Schwärze, wenn die Bäume
krachend sich bogen und das Gras unter Regenstürzen erdwärts
schleifte, wie Haare Ertrunkener, verging ihm sogar der Atem, und
er verschied fast, selbst vom Sturm gebrochen. Beim ersten
Hellerwerden dann, beim Sichtbarwerden des kleinsten Streifens
Himmelsblau zwischen den Wolken, kam er wieder zu Atem und empfand
das Beruhigtsein abtropfender Blätter, sich aufhellender Wege, der
Felder, die letzte Feuchtigkeit einschlürfen. Auch Albine flehte
nun um Sonne, zwanzigmal am Tage stand sie am Flurfenster und
befragte den Himmel, freute sich der
kleinsten Helligkeiten, sah sorgenvoll nach den dunkelgetürmten,
kupfrig hagelschwangeren Wolkenmassen und befürchtete, irgendein zu
schwarzes Gewölk möchte ihrem teuren Kranken den Tod bringen. Sie
sprach davon, Doktor Pascal holen zu lassen. Sergius aber wollte
nichts davon wissen, er sagte:
    »Morgen wird Sonne hinter den Vorhängen scheinen, und das wird
mich gesund machen.«
    Eines Abends, als es ihm besonders schlecht ging, schob ihm
Albine ihre Hand unter die Wange. Als die Hand ihm keine
Erleichterung brachte, weinte sie über ihre Machtlosigkeit. Seit er
zurückgefallen war in winterliches Dämmern, fühlte sie sich nicht
mehr stark genug, ihn allein den Wahnbildern zu entreißen, mit
denen er sich herumschlug. Der Frühling mußte sich ihr verbinden.
Sie selbst fühlte sich matt, ihre Hände waren eisig kalt, ihr Atem
ging kurz, kein Leben vermochte sie ihm einzuflößen. Stundenlang
irrte sie in dem großen düsteren Zimmer auf und ab. Wenn sie am
Spiegel vorüberkam, sah sie sich

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