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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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beschattet und glaubte, sie sei
garstig. Da, eines Morgens, als sie die Kissen zurechtschob, ohne
noch der geschwundenen Macht ihrer Hände zu vertrauen, war ihr, als
kehre das Lächeln des ersten Tages zurück auf Sergius' Lippen,
dessen Nacken sie zart mit den Fingerspitzen berührt hatte.
    »Mach' die Läden auf,« murmelte er. Sie dachte, er spräche im
Fieber; weil sie noch eine Stunde vorher durch das Treppenfenster
nur Trauerwolken erspäht hatte.
    »Schlafe,« sprach sie betrübt; »ich habe dir ja versprochen,
dich zu wecken beim ersten Sonnenstrahl… Schlafe ein, die Sonne
scheint nicht.«
    »Doch, ich fühle sie, die Sonne scheint, öffne die Läden.«

Kapitel 3
     
    Wirklich, die Sonne schien. Als Albine die Läden aufgestoßen
hatte hinter den großen Vorhängen, durchglühte an einer Stelle der
gütige, goldene Schein wieder die Weiße des Linnens. Als aber
Sergius den Astschatten aufs neue sah, mußte er sich aufsetzen;
dieser Zweig verkündete ihm die Rückkehr ins Leben. Das ganze
wiedererstandene Land, mit seinem Grün, seinen Wassern, seinem
weiten Hügelkreis, war für ihn enthalten in diesem, beim kleinsten
Wehen grünlich erzitternden Gebilde. Es beängstigte ihn nicht mehr,
er beobachtete begierig sein Schwanken, taten die Saftkräfte ihm
doch not, deren Bote er war; Albine stützte ihn in ihren Armen und
sagte glücklich: »Lieber, lieber Sergius, der Winter ist zu
Ende … jetzt sind wir gerettet!« Er sank zurück, seine Augen
glänzten schon lebensvoll, die Stimme klang klarer.
    »Morgen,« sagte er, »werde ich sehr kräftig sein … Du wirst
die Vorhänge aufziehen, ich will alles sehen.«
    Am folgenden Tage überfiel ihn kindliche Angst. Auf keinen Fall
wollte er seine Zustimmung dazu geben, daß die Fenster weit
geöffnet würden. Er murmelte: »Später, nachher.« Die Unruhe verließ
ihn nicht, er fürchtete sich vor dem ersten Lichtstrahl, der ihm in
die Augen fiele. Es wurde Abend, ohne daß er sich dazu hätte
entschließen können, der Sonne ins Gesicht zu sehen. Er hatte sich
damit begnügt, das Antlitz den Vorhängen zuzuwenden und unter dem
durchscheinenden Stoff die Blässe des Morgens, die Mittagsgluten,
die nächtliche Dämmerung, alle Farben, alle Regungen des Himmels zu
verfolgen. Hier wurde alles sichtbar, sogar das Erzittern der lauen
Luft beim Flattern eines Vogels, die
duftsprühende Fröhlichkeit im Beben eines Sonnenstrahles. Durch
diesen Schleier, durch dies zarte Träumen vom machtvollen
Außenleben hindurch, lauschte er dem erwachenden Frühling. Und in
manchen Augenblicken benahm es ihm sogar ein wenig den Atem, wenn
das Wallen neuen Erdblutes, den trennenden Schleiern zum Trotz, zu
heftig bis zu ihm drang.
    Am folgenden Morgen schlief er noch, da rief Albine, die seine
Heilung beschleunigen wollte, ihn an: »Sergius! Sergius! Die Sonne
ist da!« Lebhaft zog sie die Vorhänge auseinander und öffnete weit
die Fenster. Er richtete sich kniend im Bett auf, der Atem wollte
ihm vergehen, er preßte die Hände auf die Brust, wie, um das
stockende Herz am Bersten zu hindern. Dem weiten, endlos blauen
Himmel fand er sich gegenüber; in ihm badete er sich rein von
seinen Leiden, ließ sich leise wiegen, trank Jugend, Unschuld und
Süßigkeit aus ihm. Einzig der Zweig, dessen Schatten er
wahrgenommen, erstreckte sich über den Fensterausschnitt und
streifte mit kräftigem Grün das blauende Meer, und schon dies war
seiner Krankenempfindlichkeit zu viel. Schwalben, die den Horizont
überflogen, kränkten ihn wie eine Besudelung. Er kam zur Welt.
Unwissentlich stieß er leise Rufe aus; ganz versunken in Klarheit,
umspielt von warmen Lüften, fühlte er unendliches Leben in seinen
Adern rollen. Die Arme breitete er aus und sank in wohltätiger
Ohnmacht zurück in die Kissen.
    Welch glücklicher, liebeserfüllter Tag! Die Sonne fiel zur
Rechten ins Zimmer, weit vom Alkoven. Den ganzen Morgen lang
beobachtete Sergius, wie sie Schritt für Schritt näher rückte. Golden sah er sie auf sich
zukommen, vorüberschmeicheln an den Kanten der alten Möbel, Winkel
durchspielen, ab und an den Boden übergleiten, wie ein sich
entrollendes Band. Ein langsames unaufhaltsames Näherkommen war es,
das Herbeischleichen einer Liebenden, die ihre hellen Glieder regt
und sich zum Alkoven vordrängt in rhythmischer Bewegung, mit einer
wollüstigen, Sehnsucht weckenden Lässigkeit. Gegen zwei Uhr endlich
wich der Sonnenstreifen vom letzten der Sessel und hob sich die
Decke entlang, breitete

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